Abwasser
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3. Vorschläge zur Lösung der Abwasserfrage An Ideen und Initiativen zur Lösung der Abwasserfrage hat es bereits in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts nicht gefehlt. Maßgeblich für die Entwicklung des Berliner Abwassersystems sind die von den folgenden Ingenieuren formulierten und ausgearbeiteten Vorschläge. 3.1 Entwässerungsentwurf von Dr. Crelle Bereits im Jahre 1842 hielt der Oberbaurat Dr. Crelle einen Vortrag an der Akademie der Wissenschaften in dem er forderte, dass mit dem Bau von Wasserleitung auch die Anlage unterirdischer Entwässerungskanäle sowie die Beseitigung der offenen Rinnsteine notwendig werde. Er plädierte für ein einheitliches System von Abzugskanälen in 2,5 bis 3 m Tiefe. In Folge der flachen Lage und der Größe der Stadt müsse das Abwasser durch elf Pumpwerke maschinell gehoben werden, um es in die Spree oder den Landwehrgraben zu leiten. Der Vortrag fand wenig Beachtung, obwohl er noch im gleichen Jahr gedruckt erschien. |
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Abb. 4 Crelleplan 1842 Quelle: H. Tepasse, Stadttechnik im Städtebau |
Crelles Pläne unterscheiden sich von den bisherigen Vorschlägen in folgenden wesentlichen Merkmalen:
Crelle war darüber hinaus davon überzeugt, dass die Stadtreinigung eine kommunale Aufgabe sei. Wenn aber derartige Projekte aus Geldmangel scheitern sollten, wäre gegen die Zuhilfenahme einer Aktien-Unternehmung nichts einzuwenden. Nach genauer Lektüre des Entwurfes sind große Ähnlichkeiten mit der etwa 30 Jahre späteren Planung von James Hobrecht festzustellen. 3.2 Entwässerungsentwurf von Wiebe
Aufgrund der eskalierenden unhygienischen Verhältnisse und der damit verbundenen gesundheitlichen Gefährdung der Bevölkerung beauftragte der zuständige Minister für Handel, Gewerbe und öffentliche Arbeiten Von der Heydt im Juni 1860 den Baurat Eduard Wiebe, einen Entwässerungsplan für Berlin auszuarbeiten. |
Abb. 5 Wiebeplan 1861 Quelle: H. Tepasse, Stadttechnik im Städtebau |
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Zunächst wurde, um Erfahrungen zu sammeln, eine Studienreise angeordnet. Die Reisegesellschaft bestand neben Wiebe aus dem mit der Ausarbeitung des Bebauungsplan zur Stadterweiterung beschäftigten Baumeister James Hobrecht und dem mit dem Maschinenwesen vertrauten Zivil-Ingenieur Ludwig Alexander Veit-Meyer.
Die Studienreise dauerte vom 21. August bis zum 10. November 1860 und führte neben den Metropolen Hamburg, Paris und London auch in die kleineren englischen Städte Carlisle und Leicester. Die Kommission, insbesondere jedoch ihr Leiter, Baurat Wiebe, brachte eine Fülle von Unterlagen und eigenen Aufzeichnungen mit, deren Auswertung eine ungeheure Arbeit darstellte. In der, gemessen an Umfang und Komplexität der Aufgabe, enorm kurzen Zeit von nur elf Monaten legte Wiebe ein vollständiges Projekt "Über die Reinigung und Entwässerung der Stadt Berlin" vor. Der kurz gehaltenen Einleitung lagen Übersichtspläne der Kanalisation großer europäischer Städte sowie Detailzeichnungen komplizierter Bauwerke mit genauer Vermessung bei. Der Hauptteil bestand aus einem bereits vollständig durchgearbeiteten, ausführungsreifen Projekt für die Stadt Berlin in ihrer damaligen Ausdehnung. Nach diesem Entwurf sollten alle bereits bebauten und alle potentiell bebaubaren Flächen mit einem einheitlichen, ineinander und höhenmäßig aufeinander abgestimmten Kanalsystem versehen werden. Es war geplant, das gesamte Stadtgebiet durch zwei große Haupt-Sammelkanäle beiderseits der Spree mit mehr als 50 Zweigkanälen im Abstand von 0,5 bis 1,0 km flächendeckend zu erschließen. All diese Kanäle sollten an der Spree oder ihren Seitenarmen beginnen. Sie waren höhenmäßig so projektiert, dass Überschüsse, Spültüren und ähnliche Einrichtungen Flusswasser durch das natürliches Gefälle in die Kanäle eingeleitet werden konnten, um diese dauernd oder zeitweise zu spülen. Für die Hauptsammel- und die Zweigkanäle hat Wiebe die geodätischen Höhen, Gefälleverhältnisse, Überdeckung (Tiefenlage im Gelände) und die Nennweitenwechsel genau angegeben. Außerdem hat er für den Norden und Osten des Stadtgebietes so genannte hoch liegende Kanäle vorgesehen, für die wegen des stärkeren Gefälles eine Spülung nicht erforderlich gewesen wäre. Für all diese Kanäle waren die Regelprofile festgelegt und zu Kalkulationszwecken wurden Massenermittlungen für Erdarbeiten, Beton und Mauerwerk sowie Pflasterarbeiten durchgeführt. Für die Ableitung des Abwassers war vorgesehen, die beiden Hauptsammelkanäle in einer westlich von Moabit zu errichtenden Pumpstation zusammenzuführen. Von dort sollte das Abwasser nach einem Absetzvorgang durch einen unterirdischen 2,33 km langen Kanal unterhalb der Brücke der Berlin-Hamburger Eisenbahn nördlich von Charlottenburg in die Spree fließen zu lassen. Nach dem Bekanntwerden des Wiebeschen Entwurfs setzte ein heftiger Streit unter Fachleuten ein. Als erster veröffentlichte der Volkswirtschaftler Roeder eine kritische Druckschrift, dann machte der Stadtbaurat Spott auf Schwierigkeiten beim Bau der tief liegenden Kanäle aufmerksam, wodurch Einsturzgefahr für die anliegenden Häuser bestünde. Auch würde mindestens das Dreifache der von Wiebe angesetzten 13 Millionen Mark Baukosten benötigt werden, gab er zu bedenken. |
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Abb. 7 Wiebeplan Quelle: H. Tepasse, Stadttechnik im Städtebau |
Am 25. Mai 1865 legt die Ende des Jahres 1861 eingesetzte "Städtische Deputation zur Reorganisation des Latrinenwesens bzw. zur Kanalisation Berlins" das vom Minister für landwirtschaftliche Angelegenheiten autorisierte Ergebnis ihrer langjährigen Beratungen vor. Darin wird empfohlen, die Dunggruben im Hof der Gebäude durch auswechselbare Tonnen zu ersetzen und ein flaches Sielsystem zur Abführung von Haus- und Regenwasser zu schaffen. Der Kanalisationsentwurf von Wiebe wird ausdrücklich abgelehnt, weil die Dungstoffe mit dem Abwasser in die Spree eingeleitet würden und damit der landwirtschaftlichen Nutzung verloren gingen. Gewarnt wird vor der Verschmutzung der Spree im Bereich Spandau. Zwei Monate danach, am 24. Juli 1865, argumentiert der Geheime Baurat Wiebe in einer Denkschrift gegen die vorher genannte Entscheidung des Landwirtschaftsministeriums. Er stellt fest, dass die Sammlung der Abtrittsstoffe in Tonnen die gleichen Missstände als Folge hätten, wie ihre Aufspeicherung in Dunggruben. Die landwirtschaftliche Verwertung der Tonneninhalte würde wegen der hohen Transportkosten auch nicht vertretbar sein. Nach fast einem Jahr, am 15. Mai 1866, empfahl der Magistrat in einer Vorlage an die Stadtverordnetenversammlung, das Wiebesche Projekt weiterzuverfolgen. Die Stadtverordnetenversammlung kommt am 6. Dezember 1866 jedoch zu dem Beschluss, Wiebes Projekt abzulehnen, weil nicht ausreichend geklärt ist, ob Abfuhr oder Kanalisierung die sinnvollere Lösung darstelle. Dem Magistrat werden Auflagen zur baldigen Klärung erteilt. Es werden sowohl zum Abfuhrsystem als auch zum Wiebeschen Plan genauere Auskünfte über Grundwasserstände, Baugrund, Geruchsbelästigungen, Bestand an Wasserklosetts und Rinnsteinen, vorhandene Kanäle, Kosten eines flachen Sielsystems, Abfuhrkosten für Trockenklosetts etc. verlangt, um entscheiden zu können, welches System überhaupt für die 1,5 Millionen Einwohner Berlins ausreichen würde. Erstmals haben sich auch Ärzte an der Diskussion um die Kanalisation beteiligt, nachdem im Juli 1865 der Minister für Handel, Gewerbe und Bauwesen die Wissenschaftliche Deputation für das Medizinalwesen berief, zu der auch Rudolf Virchow gehörte. Die Deputation hatte in einem Gutachten vom 16. Oktober 1867 festgestellt, dass die im Wiebeschen Projekt vorgesehene Einleitung von ungereinigtem Abwasser in die Spree unzulässig sei. Außerdem wird auf die Unzweckmäßigkeit verwiesen, das gesamte Schmutzwasser Berlins von einem Punkt aus, dem Endpunkt des Wiebeschen Systems westlich von Moabit, auf weit entfernte Berieselungsflächen zu transportieren. In dem Anfang 1868 der Öffentlichkeit vorgelegten Gutachten werden vor allem die Probleme der Reinigung des Abwassers behandelt, die nunmehr kurzfristig einer Lösung zugeführt werden müssen. |
3.3 Entwässerungsplan von Hobrecht
Zur Errichtung der Kanalisation in Berlin wird durch einen Gemeindebeschluss vom 2. und 21. Februar 1867 eine aus Magistratsmitgliedern und Stadtverordneten neu gebildete Deputation unter Leitung von Rudolf Virchow eingesetzt, die alle bisherigen Untersuchungen zusammentragen und die Schlussfolgerungen daraus vorlegen soll. Endlich, nach siebenjährigem Streit über die Berliner Kanalisation wird am 19. Mai 1869 in den städtischen Gremien ein bedeutender Beschluss gefasst. In der Zwischenzeit hatten sich die hygienischen Zustände in der Stadt weiter verschlechtert. James Hobrecht, der 1861 Berlin verlassen und als Stadtbaurat ein Kanalisationsprojekt für Stettin entworfen hatte, wird nach Berlin zurückgeholt und als leitender Techniker für die Vorarbeiten zur Entwässerung Berlins eingesetzt. Er erhält ein Büro, von dem aus er ab sofort alle Untersuchungen und Arbeiten zur Kanalisation koordiniert und leitet. Als erstes wird auf seine Anregung hin ein Untersuchungsausschuss gebildet, der praktikable Lösungen für die Abwasserreinigung auf Rieselfeldern erarbeiten soll. Bereits am 28. Oktober 1869 bewilligt die Stadtverordnetenversammlung auf Antrag Hobrechts die Mittel für die Pachtung eines fünf Morgen (entsprechen12.500 qm) großen Geländes vom Militärfiskus. Auf diesem Gelände in der Nähe des Kreuzbergs im Tempelhofer Unterland sollten die Berieselungsversuche durchgeführt werden. Diese Versuche beginnen am 24. Juli 1870 unter Leitung von Prof. Dr. Dünkelberg aus Wiesbaden und ergeben ein positives Resultat. Die Königliche Tierarzneischule verfüttert das Gras von den Rieselfeldern und bescheinigt Unbedenklichkeit. Auch Kulturpflanzen wie Kohl, Bohnen, Erbsen, Gurken, Spinat, Rüben, Sellerie, Porree, Kartoffeln und Mais gedeihen gut. Die Berieselungs- und Stauversuche werden im Winter 1870/71 selbst bei stärkerem Frost ohne Probleme fortgeführt. Bis 1872 werden verschiedene technische Varianten erprobt und dabei umfangreiche Erfahrungen gesammelt, immer mit günstigen Ergebnissen. Im August 1871, noch bevor alle Versuche und Untersuchungen abgeschlossen sind, legt Hobrecht ein »Generelles Projekt für die Canalisation Berlins«. |
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Abb. 9 Hobrechtplan 1871 Quelle: H. Tepasse, Stadttechnik im Städtebau |
Hobrecht Entwurf fand bei den Deputierten breite Zustimmung. Mit seinem Entwurf entschied er sich für 12 sektorale voneinander durch topografische Merkmale getrennte Kanalsysteme mit radialer Sammlung der Abwasser, beginnend in der bereits bebauten Mitte der jeweiligen Entwässerungsgebiete bis hin zur Peripherie in der Nähe eines Vorfluters zur Einrichtung von Notauslässen, den Sicherheitsventilen, bei extrem starken Regenfällen. Diese "Radialsysteme" arbeiten mit den natürlichen, aus dem in der flachen Niederstadt maximal möglichen Leistungsgefälle resultierenden Druckkräften. Von den in den Radialsystemen tiefstgelegenen Sammelpunkten aus sollten dampfbetriebene (später gas- und anschließend elektromotorisch angetriebene) Pumpen das Abwasser über kilometerlange Druckrohre auf die außerhalb des Weichbildes von Berlin gelegenen Rieselfelder zur biologisch-mechanischen Klärung befördern.
Hobrecht sieht wie Wiebe die Schwemmkanalisation, also das Mischsystem vor, bei dem Schmutz- und Regenwasser gemeinsam in einem Kanal abgeleitet werden. |
Abb. 10 Hobrechtplan Quelle: H. Tepasse, Stadttechnik im Städtebau |
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Das Hobrechtsche Projekt der zwölf Teilsysteme bringt gegenüber dem Wiebeschen Gesamtsystem folgende Vorteile:
Die geplanten Radialsysteme l, II, III, VI und VII liegen links, die Systeme IV, V und VIII bis XII rechts der Spree. Die im Randgebiet befindlichen Systeme VI bis XII sind nach den Stadtgrenzen hin offen, also auf künftige Erweiterungen angelegt. Auf Empfehlung der Königlichen Wissenschaftlichen Deputation für das Medizinalwesen legte der Magistrat am 16. November 1872 der Stadtverordnetenversammlung den Entwurf Hobrechts vor und stellte gleichzeitig den Antrag, diesem Projekt zuzustimmen. Im Dezember 1872 erstattete Virchow den Generalbericht über die Arbeiten der "Städtischen gemischten Deputation für die Untersuchung der auf die Kanalisation und Abfuhr bezüglichen Fragen". Er empfiehlt die Annahme und Realisierung der mit dem Bericht in Einklang stehenden Hobrechtschen Projekte. Der Generalbericht, ein umfangreiches Werk von 168 Seiten, stützt sich auf eine Vielzahl von Sachverständigengutachten und Berichten über Versuchergebnisse, insbesondere über die Berieselungsversuche, über Grundwasserverhältnisse sowie über geologische Untersuchungen. Der Generalbericht von Rudolph Virchow wird von den Stadtverordneten und den verschiedenen Magistratsdienststellen ausführlich geprüft und für gut und realisierbar befunden. Am 6. März 1873 beschließt der Magistrat die Ausführung des Hobrechtschen Projektes, am 15. Mai 1873 folgt der Beschluss der Stadtverordnetenversammlung.
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