Differenzierung von Nachhaltigkeit

Referenten: Jan Bovelet, Nadin Heinrich, Cristoph Lauterbach


Inhaltsverzeichnis

1.  Theoretische Grundlagen des Konzepts von Nachhaltigkeit
1.1  Einleitung
1.2   Was ist Gerechtigkeit?
1.3  Gerechtigkeitstheoretische Grundlagen von Nachhaltigkeit
2.  Schwache und Starke Nachhaltigkeit
2.1   Einführung
2.2   Schwache Nachhaltigkeit
2.3   Starke Nachhaltigkeit
2.4 Vermittelnde Positionen
2.5 Position nach Ott und Döring
3. Die Insel Nauru
3.1 Geschichte
3.2 Aspekte der schwachen und der starken Nachhaltigkeit
4. Björn Lomborg & Kopenhagen Konsens
4.1 Hintergrund
4.2 Operationalisierung - Der Kopenhagen Konsens
4.3 Gerechtigkeit
5. Schlussbetrachtung
6. Quellen


Differenzierung von Nachhaltigkeit
1. Theoretische Grundlagen des Konzepts von Nachhaltigkeit

Wir gehen in unserer Arbeit der Frage nach, was der Begriff der Nachhaltigkeit bezeichnet. Der Begriff der Nachhaltigkeit unterliegt in letzter Zeit zunehmend einem inflationären Gebrauch. In fast allen Bereichen der menschlichen Aktivitäten wird großer Wert darauf gelegt, sich nachhaltig zu verhalten, oder doch zumindest darauf, den Eindruck zu erwecken, man verhielte sich nachhaltig. Politiker aller Couleur fordern Nachhaltigkeit in so mancher Debatte, Bioläden verkaufen Produkte aus nachhaltiger Landwirtschaft und Großbanken verfolgen nachhaltige Strategien zur Gewinnmaximierung. Diese Liste ließe sich fast beliebig erweitern, aber sie reicht schon aus, um das Phänomen des inflatorischen Gebrauchs des Motivs der Nachhaltigkeit anzuzeigen.
Nun macht es stutzig, zu hören, dass Personen, Gesellschaften oder Institutionen, deren Interessen sich zum Teil diametral entgegenlaufen, trotzdem jeweils für sich reklamieren können, nach denselben Prinzipien, nämlich denen der Nachhaltigkeit, zu handeln. So würde z.B. McDonalds (1) genauso wie der Bioladen um die Ecke darauf insistieren, dass ihre Unternehmensphilosophie oder doch zumindest Teile davon unter Prinzipien der Nachhaltigkeit strukturiert sind. Sprechen nun beide über dasselbe, über zwei unterschiedliche Variationen derselben Sache oder geht es um zwei unterschiedliche Sachen, die nur mit demselben Nahmen bezeichnet werden?
Es scheint so zu sein, als ob Nachhaltigkeit ein Prinzip ist, das Handlungen auf einen bestimmten Zweck hin bestimmt. Wenn man diesen Zweck nicht mit in Betrachtung nimmt, können paradoxe Situationen auftauchen. So könnte z.B. der Eine aus Gründen von (an Kapitalgewinn orientierter) Nachhaltigkeit daran interessiert sein, genau den Wald abzuholzen, den ein Anderer aus Gründen von (ökologischer) Nachhaltigkeit erhalten will. Anknüpfend an dieses Phänomen entsteht die Frage, in welchem Verhältnis die verschiedenen Motivationen bzw. Interessen an Nachhaltigkeit zueinander stehen. Sind sie vertikal oder horizontal oder vielleicht auf noch eine andere Art geordnet bzw. lassen sie sich überhaupt in ein bestimmtes Verhältnis zu einander bringen?

Um unserer Frage nachzugehen, werden wir

(1) untersuchen, was die theoretischen Grundlagen des Konzepts von Nachhaltigkeit sind,

(2) die in der Wohlfahrtsökonomik geläufige Unterscheidung von starker und schwacher Nachhaltigkeit sowie deren Verhältnis zu einander beschreiben,

(3) den aktuellen Versuch einer Verbindung von starker und schwacher Nachhaltigkeit von Ott und Döring darstellen und

(4) Vor- und Nachteile von schwacher und starker Nachhaltigkeit an einem konkreten Beispiel beleuchten,

(5) einen alternativen Ansatz von Lømborg vorstellen, der aufgrund eines anderen Ansatzes in Bezug auf die Probleme der Menschheit die Überlegungen zu primär ökologisch-nachhaltiger Entwicklung für verfehlt hält.
(1)
McDonalds ist hier polemisch als Beispiel für in Unternehmen ausgewählt, von dem wir davon ausgehen, dass die Mehrheit es intuitiv in diejenige Gruppe von Subjekten einordnen würde, die ihr Handeln nicht primär am Wohlergehen ihrer Umwelt orientieren.


1.1 Einleitung

In einer Theorie der Nachhaltigkeit geht es um die um

(a) die Verteilung von Gütern,
(b) die Möglichkeiten zur Realisierung von Bedürfnissen und Fähigkeiten und
(c) den Zugang zu natürlichen und kulturellen Ressourcen. (2)

Die Verteilungen, Möglichkeiten und Zugänge sollen in inter- und intragenerationeller Hinsicht gerecht organisiert werden. Diese Aufgabenstellung ist voraussetzungsreich, da sie sich auf den komplexen Begriff der Gerechtigkeit bezieht und hochkomplexe Handlungssubjekte, nämlich die Generationen, in Anschlag bringt. Damit stehen zwei Fragekomplexe ihm Raum, die der Frage nach einem Konzept von Nachhaltigkeit vorgelagert sind:
die Frage

(a) nach dem Wesen der Gerechtigkeit (Was ist gerecht?), und

(b) nach der Konstitution von Subjekten
(Was ist ein Subjekt und was ist eine Gemeinschaft von Subjekten?)

Der zweiten Frage werden wir hier nicht weiter nachgehen, sondern einfach voraussetzen, dass es Handlungssubjekte, bzw. komplexe Handlungssubjekte gibt. (3) Wenn wir in dieser Arbeit über Handlungssubjekte sprechen, beziehen wir uns auf folgende Definition:

Ein Handlungssubjekt ist ein Subjekt mit intentionaler Struktur, das man für sein Handeln verantwortlich machen kann. Darunter fallen Personen genau so wie abstrakte Personen, wie z.B. Firmen, Gesellschaften, Bevölkerungen oder globale Generationen.

Was uns hier interessiert, ist die erste Frage, denn ein vorgängiges Verständnis von Gerechtigkeit scheint die Bedingung einer Theorie von Nachhaltigkeit zu sein. So schreiben auch Ott und Döring, dass "[die] Idee der Nachhaltigkeit [...] an die Idee der Gerechtigkeit angelehnt [ist]" (4) bzw. dass umgekehrt der Gedanke der Nachhaltigkeit in einer allgemeinen Theorie der Gerechtigkeit verwirklicht werden muss, da Nachhaltigkeit eben in der gerechten Verteilung von Möglichkeiten und Zugängen besteht. (5)
Die Möglichkeiten und Zugänge, die durch eine gerechte Verteilung geregelt werden sollen, können auch allgemein als Ansprüche von Handlungssubjekten beschrieben werden. Diese Ansprüche können dann auf dem Hintergrund einer Gerechtigkeitstheorie beurteilt und damit entweder anerkannt oder abgelehnt werden.
(2)
Vgl. Konrad Ott und Ralf Döring, Theorie und Praxis starker Nachhaltigkeit, Marburg 2004,
S. 41

(3)
Obwohl das eine sehr wichtige und entscheidende Frage ist. Sie würde allerdings den Rahmen dieser Arbeit sprengen. Wir werden die Frage noch einmal kurz streifen, wenn es darum geht, ob sich Handlungen von Handlungssubjekten erschöpfend in der ökonomischen Terminologie von Präferenzen beschreiben lassen.

(4)
Konrad Ott und Ralf Döring, Theorie und Praxis starker Nachhaltigkeit, Marburg 2004, S. 41

(5)
Vgl. Konrad Ott und Ralf Döring, Theorie und Praxis starker Nachhaltigkeit, Marburg 2004,
S. 41


1.2 Was ist Gerechtigkeit?

Die Frage nach der Gerechtigkeit wird im Rahmen der Ethik behandelt. Sie ist aber keineswegs damit gleichzusetzen. Ethik könnte man grob als die "Wissenschaft der Handlung(en)" beschreiben. Handlungen sind dabei Ereignisse in der physischen Welt, allerdings mit der Besonderheit, dass sie von wollenden Wesen, d.h. von Subjekten mit intentionaler Struktur, ausgeführt werden. Eine universale Ethik setzt sich also mit Handlungen aller Art auseinander. Bestimmte Handlungen, z.B. religiöse, sexuelle, ökonomische oder gerechte, fallen in bestimmte Bereiche, die die Ethik untersucht. Dabei kann es aber durchaus Verbindungen zwischen unterschiedlichen Bereichen geben.

Eine wichtige systematische Unterscheidung ist die Unterscheidung von internen und externen Handlungsgründen und das Verhältnis dieser beiden in konkreten Situationen. Innere Gründe werden durch die Wünsche, Bedürfnisse, Interessen und Motive des Handlungssubjektes bestimmt, externe durch die Möglichkeiten, die durch den Kontext des Handlungssubjektes festgelegt sind. Diese Unterscheidung ist deshalb wichtig, weil sie die Bewertung einer Handlung bestimmt. Für die internen Handlungsgründe ist ein Handlungssubjekt verantwortlich, d.h. es kann dafür verantwortlich gemacht werden. Für externe dagegen nicht, weil diese sich der Modifizierbarkeit durch das Handlungssubjekt per definitionem entziehen. Je nachdem, was man als internen und was als externen Grund annimmt, wird man eine Handlung unterschiedlich beurteilen. Deshalb ist in Streitfällen um die Verantwortung für ein bestimmtes Ereignis auch stets die Frage entscheidend, was das Handlungssubjekt hätte wissen oder tun können. Dadurch soll geklärt werden, was in Bezug auf das fragliche Ereignis in seiner Macht stand und ob er dafür zur Verantwortung gezogen werden soll oder nicht.

Ethik wird auf normativer und auf deskriptiver Ebene betrieben. Auf deskriptiver Ebene beschreibt Ethik Handlungen, auf normativer Ebene beurteilt sie, welche Handlungen anderen vorzuziehen sind. Genau das ist ja auch in der Debatte um Nachhaltigkeit der Fall, wenn aus Beobachtungen und Urteilen über die Verhältnisse in der Welt Forderungen entstehen, wie die Menschen sich weiterhin in Bezug auf ihre Umwelt verhalten sollen.


(6)
Zu erwähnen wäre weiterhin noch der Begriff der Werte-Ethik. Diesen führen wir nicht einzeln auf, da er sehr umfassend ist und im Grunde nur noch einmal die normative Ebene der Ethik ausdrückt. Handlungsregeln werden um einen bestimmten zentralen Wert herum konzipiert. Dieser Wert kann aber auf unterschiedliche Weisen geschöpft werden. Als Beispiel seien theologische Ethiken angeführt, man könnte aber eben so gut die drei aufgezählten Arten von Ethiken als Werte-Ethiken reformulieren.
Ethische Konzeptionen

Zurzeit werden in der Ethik hauptsächlich drei Richtungen (6) verfolgt, von denen auch Mischformen existieren können:

(1) eudaimonistische Ethiken, auch Glücksethiken genannt. Dabei steht die Idee das guten Lebens im Vordergrund, das durch bestimmte Verhaltensregeln erreicht werden soll. Beispiele sind die nikomachische Ethik von Aristoteles oder die Konzeption von Martha Nussbaum.

(2) deontologische Ethiken, oder auch Prinzipienethiken. Dort werden Prinzipien aufgestellt, von deren Befolgung sich die Regeln für ein gutes Leben herleiten. Vertreter sind z.B. Kant, Scanlon, Gauthier und Rawls.

(3) konsequentialistische Ethiken. Diese bestimmen den Gehalt einer Handlung nicht anhand eines Ideals oder durch Ableitung von einem obersten Prinzip, sondern bemessen ihn allein an den Konsequenzen, die die Handlung zeitigt. Vertreter sind z.B. Bentham und Singer.


Intra- und intergenerationelle Gerechtigkeit

Gerechtigkeit ist ein relationaler Begriff, d.h. Gerechtigkeit besteht immer zwischen verschiedenen Handlungssubjekten. Damit entsteht die Frage nach

(1) intragenerationeller und

(2) intergenerationeller Gerechtigkeit.

Beide beruhen grundlegend auf der Annahme der prinzipiellen Gleichheit aller Handlungssubjekte, unterscheiden sich aber in einem wesentlichen Punkt. Zu Fragen der intragenerationellen Gerechtigkeit kann man die betroffenen Handlungssubjekte (theoretisch) direkt nach ihren Ansprüchen befragen. Bei Fragen der intergenerationellen Gerechtigkeit ist das nicht der Fall, da es sich hier um die Gerechtigkeit zwischen gegenwärtiger und zukünftiger Handlungssubjekte geht. Man kann keine zukünftige Generation fragen, ob sie unseren Anspruch auf beispielsweise Rohstoffverbrauch in dieser Quantität für gerecht hält, d.h. anerkennt.

Um intergenerationelle Gerechtigkeit herzustellen, müssen also Annahmen darüber getroffen werden (7), wie die Ansprüche zukünftiger Generationen aussehen. Wichtig ist hierbei die Betonung darauf zu legen, dass es sich dabei tatsächlich um Annahmen handelt, denn logisch zwingende Schlüsse über die zukünftigen Ansprüche sind schlechterdings nicht möglich. Diese Schlüsse bleiben uns durch die Induktionsproblematik verwehrt. Weder kann man sagen, dass die Ansprüche zukünftiger Generationen von den unseren verschieden sein werden, noch dass sie den unseren gleichen werden . Das, was wir ihnen zuerkennen können, ist, dass sie dieselben Möglichkeiten haben, Ansprüche zu haben, wie wir auch (8). Es geht also um die Ermöglichung und Gewährung der Möglichkeit eines guten Lebens.

Wenn man über "gutes Leben" spricht, argumentiert man vom Boden eines eudaimonistischen Ethikansatzes aus. "Gutes Leben" ist dabei ein chronisch unterbestimmter Begriff. Wann ist ein Leben genau gut? Dieser Frage nähert man sich seit Aristoteles durch Beschreibungen von Ausgewogenheiten zwischen Extrempositionen. Zu einem guten Leben braucht ein Handlungssubjekt weder zu viel noch zu wenig von bestimmten Dingen oder Ereignissen. So braucht man z.B. ein angemessenes Quantum von Trinkwasser zum Leben. Zu wenig wie zu viel ist beidermaßen dem Überleben eher hinderlich. In dieser Art wird alles in einer Liste aufgezählt, was zu einem guten Leben gehört. So auch bei Ott und Döring, die sich dabei auf Martha Nussbaum beziehen (9).

Nach diesem kleinen Exkurs in die Ethik werden wir nun die gerechtigkeitstheoretischen Überlegungen von Nachhaltigkeitskonzeptionen nachzeichnen. Dabei geht es darum entscheidende Momente der Gerechtigkeitstheorie darzustellen, die man beim Nachdenken über Nachhaltigkeit berücksichtigen muss.
(7)
Vgl. Konrad Ott und Ralf Döring, Theorie und Praxis starker Nachhaltigkeit, Marburg 2004,
S. 57

(8)
Allerdings nur, wenn wir auch das "keine Ansprüche haben zu wollen" als gültige Formulierung eines Anspruchs zulassen, sonst würden wir uns weiterhin im Rahmen bloßer Annahmen bewegen. Diesen Punkt scheinen Ott und Döring zu übersehen. Vgl. Konrad Ott und Ralf Döring, Theorie und Praxis starker Nachhaltigkeit, Marburg 2004, S. 58

(9)
Vgl. Konrad Ott und Ralf Döring, Theorie und Praxis starker Nachhaltigkeit, Marburg 2004,
S. 58 und S. 79


1.3 Gerechtigkeitstheoretische Grundlagen von Nachhaltigkeit

Bereiche der Gerechtigkeitstheorie

Bei der Frage nach der Gerechtigkeit im Bezug auf eine Nachhaltigkeitstheorie geht es in erster Linie um die Frage nach "distributiver Gerechtigkeit in Gegenwart und Zukunft" (10). Distributive Gerechtigkeit befasst sich in Abgrenzung zu politischer und korrektiver Gerechtigkeit mit der gerechten Verteilung von Ansprüchen. Politische Gerechtigkeit befasst sich mit der Frage, ob oder wie Handlungssubjekte gleichberechtigt ihre Ansprüche formulieren können. Korrektive Gerechtigkeit setzt sich damit auseinander, wie Zustände, die durch zu Unrecht durchgesetzte Ansprüche entstanden sind, kompensiert werden können. Aber auch trotz dieser systematischen Unterteilung sind die drei Bereiche oft miteinander verflochten.

Bei jeder Gerechtigkeitstheorie muss berücksichtigt werden, dass sich Ansprüche immer relativ zu bestimmten kulturellen Verhältnissen, d.h. in der moralischen Tradition von Gesellschaften konstituieren (11). Man kann also über die Anerkennung von Ansprüchen nur im Rahmen von einem kulturellen Rahmen sprechen. Der Rahmen für die Anerkennung von Handlungsregeln, die sich aus einer allgemeinen Nachhaltigkeitstheorie herleiteten, wäre also auch eine allgemeine Gesellschaft, d.h. in diesem Falle die moralische Tradition einer globalen Gesellschaft. Ott und Döring behaupten, dass diese moralische Tradition existiert, was sich unter anderem im globalen Diskurs der Frage von Nachhaltigkeit, der Menschenrechte u.ä. zeige (12). Sie beziehen sich bei ihrer "Arbeitsdefinition" von Gerechtigkeit hauptsächlich auf die "Theory of Justice" von John Rawls, da diese Arbeit die aktuelle Gerechtigkeitsdebatte nachhaltig geprägt habe (13). Rawls argumentiert deontologisch, was sich auch in Ott und Dörings Konzeption zeigen wird. Ihre Arbeitsdefinition von Gerechtigkeit lautet: "Gerechtigkeit ist [...] der Inbegriff all der Prinzipien, Regeln und Verfahren, die die Verteilung von Rechten, Pflichten, Chancen, Kompetenzen, Gütern i.w.S. für alle hiervon direkt oder indirekt Betroffenen auf eine diskursrational annehmbare Weise regulieren." (14)
Dabei stellen sie drei systematische Punkte heraus: es gibt

(a) Ansprüche eines Handlungssubjektes,

(b) ein Konzept primärer Güter und Fähigkeiten eines Handlungssubjektes und

(c) das Problem des Eigenwertes von Gleichheit (15).
(10)
Konrad Ott und Ralf Döring, Theorie und Praxis starker Nachhaltigkeit, Marburg 2004, S. 59

(11)
Als eine Ausnahme könnten deontologische Konzeptionen erscheinen. Aber auch hier lässt sich unseres Erachtens mit Recht dafür argumentieren, die leitenden Prinzipien nicht ahistorisch entstanden sind.

(12)
Vgl. Konrad Ott und Ralf Döring, Theorie und Praxis starker Nachhaltigkeit, Marburg 2004,
S. 60-61

(13)
Vgl. Konrad Ott und Ralf Döring, Theorie und Praxis starker Nachhaltigkeit, Marburg 2004,
S. 41

(14)
Konrad Ott und Ralf Döring, Theorie und Praxis starker Nachhaltigkeit, Marburg 2004, S. 43

(15)
Vgl. Konrad Ott und Ralf Döring, Theorie und Praxis starker Nachhaltigkeit, Marburg 2004,
S. 43


Distributive Gerechtigkeit

Distributive Gerechtigkeit befasst sich mit der gerechten Verteilung der Ansprüche auf

(1) Realisierung von Fähigkeiten und Bedürfnisse und

(2) Zugang zu Gütern und natürlichen und kulturellen Ressourcen.

Dabei besteht das theoretische Anerkennen dieser Ansprüche im Praktischen sowohl im (aktiven) Ermöglichen wie auch im (passiven) Gewähren dieser Ansprüche. Ansprüche können zu komplexen Anforderungen an Handlungssubjekte führen, da manche Güter und kulturelle Ressourcen nicht natürlich vorkommen, sondern hergestellt und erhalten werden müssen, und die Realisierung mancher Fähigkeiten und Bedürfnisse die eines anderen Handlungssubjektes tangieren kann. Diesen komplexen Anforderungen kann man durch die Schaffung von gesellschaftlichen Institutionen (16) und damit verbunden durch die Bildung von Verteilungsregeln, wie eben z.B. einer Nachhaltigkeitstheorie, begegnen.

Wenn es zwischen verschiedenen Ansprüchen zu Konflikten kommt, besteht eine gerechte Lösung dieser Konflikte darin, die verschiedenen Ansprüche gegeneinander abzuwiegen und begründend zu priorisieren (17). Je komplexer die Ansprüche sind, desto umfangreicher wird das Set der Alternativen, die in eine Prioritätsreihenfolge gebracht werden müssen. Dabei wird vorausgesetzt, dass alle Handlungssubjekte prinzipiell gleichberechtigt im Formulieren von Ansprüchen sind. Sind Handlungssubjekte nicht in der Lage, ihre Ansprüche angemessen zu formulieren, muss auf Grund des vorhergehenden Gedankens der prinzipiellen Gleichheit aller Handlungssubjekte dafür gesorgt werden, dass ihre Ansprüche advokatorisch formuliert werden.
(16)
Vgl. Konrad Ott und Ralf Döring, Theorie und Praxis starker Nachhaltigkeit, Marburg 2004,
S. 55 Mitte

(17)
Wie diese Priorisierung gerecht ausgeführt werden kann, ist eine Frage der politischen Gerechtigkeit.


Der Umgang der Ökonomik mit der Verteilungsproblematik

Wohlfahrtsökonomen gehen in analytischer Art und Weise mit Verteilungsproblemen um. Sie teilen das Problem in zwei Teile:

(1) Maximierung der Allokation

(2) Verteilung der Produkte

Dann soll sich die Ökonomik mit den Fragen der Allokation unter dem Vorzeichen von Optimierungsproblemen auseinander setzen und (2) der politischen Entscheidung der Gesellschaft überlassen. Und die Gesellschaft kann jede Verteilungsregel wählen, die sie für richtig hält.

Durch diese Auftrennung blendet die Ökonomie die ethische Seite aus ihrem Arbeitsfeld aus, denn ethische Werte sind nicht quantifizierbar. Bei der Maximierung der Allokation dagegen lassen sich alle Parameter quantifizieren und damit exakt beschreiben. Alle Wünsche, Bedürfnisse, Interessen und Motive werden in Präferenzen zerlegt, aus denen sich dann die Präferenzordnung eines Handlungssubjektes ergibt. Alle diese Präferenzordnungen sind kommensurabel. Allerdings stellt sich die Frage, ob diese Abstraktion geeignet ist, um die Handlungen von Handlungssubjekten adäquat zu formulieren.
Mit der Delegierung der Verteilung an gesellschaftliche Institutionen scheidet die Ökonomik aus dem Feld der Kandidaten, die Antworten auf Verteilungsfragen geben könnten, aus. Denn es geht ihr dann nur darum, wie man die Produktion maximiert aber nicht mehr darum, wie man die Produkte verteilt. (18) Damit besteht ein "unhintergehbarer Vorrang der Gerechtigkeit vor der Effizienz" (19). Das Interesse an Gerechtigkeit ist tief und grundsätzlich in der menschlichen Natur angelegt (20). Dazu eine kurze Überlegung.

Ökonomik behandelt unter verschiedenen Rationalitätsvoraussetzungen und mit Hilfe von Spiel- und Entscheidungstheorie Wirtschaftsprobleme und damit auch Ressourcenverbrauch. Sie bezieht sich dabei auf folgendes Paradigma: Menschen haben Wünsche, Bedürfnisse, Motive und Interessen. Diese Handlungsmotivationen lassen sich als Präferenzen formulieren. Präferenzen sind sozusagen die kleinsten, stabilen Einheiten des Bewusstseinsstroms von Handlungssubjekten. Nun sind Präferenzen private Informationen, die nicht messbar sind. Die Ökonomik unterstellt, dass die Präferenzen eines Handlungssubjektes sich in seinen Handlungen manifestieren. Dabei sind alle Präferenzen prinzipiell gleichberechtigt. Die Präferenzordnung eines Handlungssubjektes hängt allein von dessen Wünschen, Bedürfnissen, Motiven und Interessen ab. Deshalb müssen Wohlfahrtsökonomen alle Präferenzordnungen als gleichberechtigt anerkennen.

Trotzdem lehnen Ökonomen manche Präferenzordnungen als irrational ab, z.B. die Präferenz eines Süchtigen nach einer bestimmten Substanz. Um aber zu begründen, warum diese Präferenzordnung irrational ist, muss man auf einen langfristigen (und in diesem Falle negativen) Effekt verweisen, den die Präferenzbefriedigung auf die Integrität des Handlungssubjektes oder auf die Gesellschaft des Handlungssubjektes hat. Hier wird auf eine Instanz rekurriert, die die Präferenzordnung bewertet, d.h. selbst nicht als Präferenz formuliert werden kann, da man sonst in einen unendlichen Regress geraten würde. Daraus lässt sich ersehen, dass sich innerhalb des ökonomischen Vokabulars nicht alle Wünsche, Bedürfnisse, Motive und Interessen von Handlungssubjekten adäquat formulieren lassen. Deshalb ist die Ökonomik auch nur (21) in der Lage, einen bestimmten Teil von gesellschaftlichen Phänomenen zu behandeln.

Die Ökologie dagegen setzt z.B. ihre Schwerpunkte im Umgang mit Verteilungsfragen ganz anders. Ökologische Theorien der Nachhaltigkeit sind meist folgendermaßen strukturiert:

(a) Oberstes Gebot ist die Beschränkung der Wirtschaftsaktivität des Handlungssubjektes auf die natürlichen Grenzen der Kapazität seiner Biosphäre. (Wobei die Grenzziehung natürlich eine schwierige Aufgabe ist.)

(b) Zweites Gebot ist die gerechte Verteilung der Produkte durch gesellschaftliche Institutionen.

(c) Drittes Gebot ist das Gebot der Effizienz. Uneffizientes Handeln soll unterbleiben.

Damit wird das Kriterium der Effizienz, das der Ökonomik die erste Priorität ist, zweifach eingeschränkt. Zum ersten durch die Begrenztheit der natürlichen Ressourcen und zum zweiten durch moralische Regeln, die das Zusammenleben normativ strukturieren.
Inhaltsverzeichnis

1.

Theoretische Grundlagen des Konzepts von Nachhaltigkeit
1.1  Einleitung
1.2   Was ist Gerechtigkeit?
1.3 

Gerechtigkeitstheoretische Grundlagen von Nachhaltigkeit
2.  Schwache und Starke Nachhaltigkeit
2.1   Einführung
2.2   Schwache Nachhaltigkeit
2.3   Starke Nachhaltigkeit
2.4 Vermittelnde Positionen
2.5 Position nach Ott und Döring
3. Die Insel Nauru
3.1 Geschichte
3.2

Aspekte der schwachen und der starken Nachhaltigkeit
4. Björn Lomborg & Kopenhagen Konsens
4.1 Hintergrund
4.2

Operationalisierung - Der Kopenhagen Konsens
4.3 Gerechtigkeit
5. Schlussbetrachtung
6. Quellen














(18)
"[...] die Ökonomik ist in Verteilungsfragen unzuständig [...]" Konrad Ott und Ralf Döring, Theorie und Praxis starker Nachhaltigkeit, Marburg 2004, S. 45

(19)
Konrad Ott und Ralf Döring, Theorie und Praxis starker Nachhaltigkeit, Marburg 2004, S. 44

(20)
Vgl. Konrad Ott und Ralf Döring, Theorie und Praxis starker Nachhaltigkeit, Marburg 2004,
S. 49

(21)
Dieses "nur" ist nicht wertend gemeint; es bedeutet lediglich "nicht alle". Die Ökonomik spielt eine wichtige Rolle im Zusammenleben der Menschen, sie sollte sich jedoch ihrer Rolle von einer unter anderen Disziplinen bewusst sein.


Verteilungsmaßstab

Die nächste Frage, der sich die Konzeption einer Nachhaltigkeitstheorie stellen muss, ist die Frage, ob sie Anerkennung der Ansprüche von Handlungssubjekten anhand eines

(1) absoluten oder eines

(2) komparativen Standards bemisst.

Ein absoluter Standard wäre die Festsetzung eines bestimmten Maßes anerkannter Ansprüche, anhand dessen man die Ansprüche eines Handlungssubjektes bemessen könnte, vergleichbar z.B. mit dem Feststellen einer Länge anhand des Vergleiches mit dem Meter in Paris.
Ein komparativer Verteilungsmaßstab dagegen würde die anzuerkennenden Ansprüche von Handlungssubjekten in Relation zur Anerkennung von Ansprüchen anderer Handlungssubjekte bestimmen.

Beide Positionen haben ihre Probleme. Ein absoluter Standard läuft Gefahr für manche Handlungssubjekte der Gegenwart und/oder der Zukunft unangemessen zu sein bzw. zu werden und zwar nach oben oder nach unten hin. Wenn man bestimmte Grundansprüche festsetzt, die die Bedingung eines guten Lebens sind, kann es passieren, dass sich die aktuellen oder zukünftigen Bedingungen so ändern, dass das Grundanspruchs-Kontingent entweder zu hoch oder zu niedrig angesetzt ist. Wenn z.B. durch Bevölkerungswachstum eine Verknappung der Anerkennbarkeit von Ansprüchen entstünde, könnte die Garantie auf die Grundansprüche nicht mehr eingelöst werden. Wenn andererseits durch irgendwelche Ereignisse mehr Ansprüche anerkannt werden könnten, würden alle sich mit weniger begnügen, als zur Verfügung stünde, und das hieße u. a., dass sie die Möglichkeiten, über die sie verfügen, nicht entfalteten.

Außerdem war und ist die Definition von Grundansprüchen problematisch. Die Schwierigkeit liegt darin, dass diese sozusagen ständig aktualisiert und neu bewertet werden müssen.

Ein komparativer Verteilungsmaßstab dagegen kann zur Anerkennung von Ansprüchen führen, die mit einem guten Leben nichts mehr zu tun haben. Wenn sich die Anerkennung der Ansprüche eines Handlungssubjektes allein an den Ansprüchen anderer bemisst, dann spricht nichts dagegen, dass es allen Handlungssubjekten gleich schlecht geht. Außerdem ist die Motivation von Ansprüchen fraglich, die sich auf die Anerkennung von Ansprüchen anderer beziehen.


(22)
Wenn man z.B. in einer Nachhaltigkeitstheorie die zukünftigen Generationen vor der aktuellen privilegieren würde, könnte das dazu führen, dass die politische Akzeptanz der aktuellen Generation so weit sinken würde, dass die Gesellschaft die Maßnahmen zur Herstellung von nachhaltigen Strukturen nicht mehr tragen würde.

(23)
Ott und Döring bemerken dazu, es "weder durch ein logisches noch durch ein Naturgesetz ausgeschlossen [ist], allen Menschen ein kultiviertes Leben in Freiheit bei gleichzeitigem Erhalt des natürlichen Kapitals zu ermöglichen."
Konrad Ott und Ralf Döring, Theorie und Praxis starker Nachhaltigkeit, Marburg 2004, S. 64

(24)
Konrad Ott und Ralf Döring, Theorie und Praxis starker Nachhaltigkeit, Marburg 2004, S. 66
Wobei wir die "Unparteilichkeit" mit unserer Formulierung der "Gleichheit aller Handlungssubjekte" gleichsetzen.

(25)
Vgl. Konrad Ott und Ralf Döring, Theorie und Praxis starker Nachhaltigkeit, Marburg 2004,
S. 66

(26)
In der Literatur unter dem Schlagwort "levelingdown" bekannt. Dies ist ein generelles Problem von Konzeptionen, die die Gleichheit, oder doch zumindest die Einschränkung der Ungleichheit von Handlungssubjekten einfordern. Denn wenn eine Konzeption die Gleichheit aller Handlungssubjekte als Wert an sich einfordert, dann spricht nichts dagegen, dass es allen zusammen schlechter geht. Um diesen Effekt auszuschalten muss man ein weiteres Prinzip einführen. So etwas wie einen Grundstock an sozialen Ansprüchen.
Verteilungsarten

Die Verteilungsarten, die die Gesellschaft wählen kann, sind nun entweder:

(1) egalitär oder

(2) nicht-egalitär

Nach (1) werden die Güter, Möglichkeiten und Zugänge gleich verteilt. Nach (2) ist auch eine Ungleichverteilung zulässig.
Beide Alternativen haben jeweils Vor- und Nachteile; die verschiedenen Positionen, die sich aus (1) und (2) entwickeln lassen, sind deshalb so umstritten, weil sie die Interessen von Gruppen in ganz unterschiedlichen Umständen treffen und damit unterschiedlich bevor- oder benachteiligen. So kann man z.B. davon ausgehen, dass in einer feudalen Gesellschaft bei Einführung einer egalitären Verteilungsart die Befürworter mehrheitlich in der besitzlosen Schicht zu finden wären, während die Gegner sich wohl hauptsächlich aus der Schicht der Grundbesitzer rekrutieren würden.


Verteilungsmuster

Es gibt drei grundlegende Verteilungsmuster:

(1) Parität

(2) Proportionalität

(3) Priorität

Parität ist das einzige egalitäre Verteilungsmuster. Dabei werden alle Ansprüche in gleichem Maße anerkannt.
Proportionalität lässt eine nicht-egalitäre Verteilung zu, weil verschiedene Ansprüche aufgrund von bestimmten Momenten verschieden bewertet werden können, beispielsweise aufgrund eines bestimmten Verdienstes.
Priorität erlaubt nicht-egalitäre Verteilung, weil bestimmte Ansprüche größer sein können als andere, z.B. aufgrund von Geburtsrecht.
Gerechtigkeitstheorien müssen dem Kriterium der Konsistenz genügen, weil sonst nicht sichergestellt wäre, dass sie allgemein gültig sind, d.h. in unserem Fall, dass sie sowohl intra- wie auch intergenerationell gültig sein müssen. Wenn eine Nachhaltigkeitstheorie beispielsweise ein bestimmtes lokales oder temporales Handlungssubjekt benachteiligen würde, wäre sie nicht nachhaltig für alle Handlungssubjekte (22). Im Zusammenhang mit der Prioritätsrangfolge einer ökologischen Nachhaltigkeitstheorie entstehen daraus Fragen an die Möglichkeit der Einhaltung des obersten Gebotes (Wirtschaften in den natürlichen Grenzen der Biosphäre). Denn wenn Gerechtigkeit für alle Handlungssubjekte bestehen soll, ist nicht klar, ob das bei progressivem Bevölkerungswachstum möglich ist oder nicht. (23)

Die Frage ist nun, welches der drei Verteilungsmuster man in Verbindung mit dem Grundsatz der Gleichheit aller Handlungssubjekte für eine Theorie der Nachhaltigkeit in Anschlag bringt. Döring und Ott privilegieren die "Verbindung aus Unparteilichkeit und der Idee der proportionalen" (24) Verteilung. Die Verteilung kann allerdings auch paritätisch geregelt werden. Von hier aus wollen sie nun eine Nachhaltigkeitstheorie entwickeln, wobei sie methodisch ex negativo von Fällen ausgehen wollen, die von der Mehrheit auf Grundlage der Gleichheit aller Handlungssubjekte als ungerecht bewertet werden. Aufgrund dieser einfachen Fälle sollen die komplexen Fälle distributiver Gerechtigkeit diskutiert werden. (25)

Zusammenfassend: Die Anerkennung von Ansprüchen soll also vor dem Grundsatz der Gleichheit aller Handlungssubjekte erfolgen, die tatsächliche Verteilung der Anerkennung der Ansprüche einzelner Handlungssubjekte kann aber aufgrund von bestimmten Verhältnissen sowohl proportional wie auch paritätisch oder in anderen Worten nicht-egalitär wie auch egalitär ausfallen. Was können nun Faktoren sein, die zu einer Akzeptanz von ungleicher Verteilung führen?
Ein Argument gegen ein ausschließlich egalitäres Verteilungsmuster ist die faktische Ungleichheit von Handlungssubjekten. Handlungssubjekte sind zu unterschiedlichen Leistungen bereit und fähig, deshalb sollte in ein gerechtes Verteilungsmuster auch die unterschiedliche Anerkennung von Ansprüchen nach dem Leistungsprinzip und die unterschiedliche Anerkennungswürdigkeit aufgrund von unterschiedlichen Ausgangsbedingungen zulassen, denn sonst müsste man umgekehrt dafür sorgen, dass alle Handlungssubjekte die gleichen Ansprüche (A1 und A2) haben, was u. a. dazu führen könnte, die Fähigkeiten von Handlungssubjekten zu beschneiden (26), damit sie anderen gegenüber nicht bevorteilt werden. Diese Maßnahme wäre in hohem Maße kontraintuitiv.


Einschränkung/Modifikation der Verteilungsmuster

Wenn man dazu kommt, dass eigentlich eine egalitäre Verteilungsart angemessen wäre, andererseits aber aufgrund von faktischen Unterschieden von Handlungssubjekten manchmal auch eine nicht-egalitäre Verteilung angemessen ist, dann muss man beide Verteilungsarten ermöglichen. Der Knackpunkt dabei ist, beide Verteilungsarten so aufeinander abzustimmen, dass sie gut zusammen funktionieren. Eine zu starke Betonung der egalitären Verteilungsart ist ebensowenig konstruktiv wie eine Überbetonung der nicht-egalitären, man denke z.B. an eine stark kommunistische Verteilung im Gegensatz zu einer kapitalistischen Verteilung neoklassischer Prägung. Eine Möglichkeit, mit dem Dilemma umzugehen ist, eine Kombination von egalitärer und nicht-egalitärer Verteilungsart zur Grundlage einer gerechten Nachhaltigkeitskonzeption zu machen. Das würde bedeuten, dass man einen "anspruchsvoll definierten absoluten Standart" (27) als Grundstock von sozialen Ansprüchen einführt, darüber hinaus aber eine nicht-egalitäre Verteilung aufgrund von anderen Prinzipien, wie z.B. dem Leistungsprinzip, zulässt. Damit würde sich die Anerkennung von Ansprüchen zwar in Relation zu anderen Handlungssubjekten bestimmen, durch die (gedeckelte) proportionale Verteilung von Anerkennung wäre es aber trotzdem möglich, Ansprüche oberhalb des Grundstock-Niveaus anzuerkennen.
In der Theorie gibt es einige solcher Versuche, die mit Einschränkungen von nicht-egalitärer Verteilung arbeiten, z.B. mit dem Prinzip der Pareto-Optimalität oder einem Effizienzkriterium o. a.

Um auch einem proportionalen Verteilungsmuster Platz einzuräumen, orientieren sich Ott und Döring an Rawls Differenzprinzip, das sie mit ihren Worten folgendermaßen fassen: "soziale und ökonomische Ungleichheiten [sind] nur dann gerechtfertigt [...], wenn es den Schlechtgestelltesten dadurch besser geht." (28) Durch diese Einschränkung der nicht-egalitären Verteilung soll sichergestellt werden, dass Verteilung nach dem Leistungsprinzip zwar möglich ist, aber nicht auf Kosten derjenigen Handlungssubjekte, die aus irgendwelchen Gründen nicht zu der gleichen Leistung fähig oder bereit sind.

Das Differenzprinzip sorgt zwar für ein Maximum des sozialen Minimalstandards, lässt aber nach obenhin eine unbeschränkte Allokation einiger weniger Handlungssubjekte zu. Deshalb ist es nicht geeignet, die Unterschiede in der Anerkennung von Ansprüchen verschiedener Handlungssubjekte (29) zu limitieren. Da aber die Unterschiede, wenn sie zu groß werden, der Entfaltung der Prinzipien von Nachhaltigkeit entgegenwirken können, beispielsweise in Bezug auf die "politischen Anerkennungsverhältnisse" (30), muss das Differenzprinzip eingeschränkt werden, um die intragenerationellen Unterschiede zwischen den Handlungssubjekten moderat zu halten.
Dies könnte z.B. durch eine absolute oberste Grenze der Allokationsmöglichkeit geschehen. (31)
(27)
Vgl. Konrad Ott und Ralf Döring, Theorie und Praxis starker Nachhaltigkeit, Marburg 2004,
S. 78

(28)
Konrad Ott und Ralf Döring, Theorie und Praxis starker Nachhaltigkeit, Marburg 2004, S. 69

(29)
Als Beispiele seien die sogen. "Schere zwischen arm und reich" oder das Nord-Süd-Gefälle erwähnt.

(30)
Konrad Ott und Ralf Döring, Theorie und Praxis starker Nachhaltigkeit, Marburg 2004, S. 72

(31)
Was aber auch wieder problematisch wäre, denn dadurch könnte die Entwicklung von Handlungssubjekten auch in Bereichen eingeschränkt werden, in denen eine Entwicklung wünschenswert ist.


2. Starke versus schwache Nachhaltigkeit

2.1 Einführung

Nach der Untersuchung über die theoretischen Grundlagen der Nachhaltigkeitsdebatte widmet sich dieses Kapitel der differenzierten Betrachtung der verschiedenen Positionen innerhalb dieser Diskussion. Die entwickelte Schemavorlage dient dabei als "Folie", um die unterschiedlichen Konzepte von Nachhaltigkeit miteinander in Beziehung setzen zu können.
Die Extrempunkte der verschiedenen Nachhaltigkeitskonzeptionen werden markiert durch:

(a) sehr schwache Nachhaltigkeit: orientiert am Kriterium des kontinuierlichen Wachstums
des BSP

(b) sehr starke Nachhaltigkeit: unter Anerkennung des moralischen Selbstwertes von Naturwesen

Die einzelnen Positionen können jedoch nicht als grundsätzlich kontinuierliche Variation EINES zugrunde liegenden Prinzips aufgefasst werden, da manche Annahmen der jeweiligen Konzeption sich gegenseitig ausschließen.
Einer der Hauptvertreter des Konzeptes der schwachen Nachhaltigkeit ist Robert Solow, der in 1974 in seinem berühmten Vortrag "The Economics of Resources or the Resources of Economics" seine Position aufzeigte.

Herman Daly konterte, indem er 1996 seine Konzeption einer starken Nachhaltigkeit zusammenfassend erläuterte. Inzwischen gilt die Position der schwachen Nachhaltigkeit allgemein als nicht mehr zu verteidigen. Doch auch für die starke Nachhaltigkeitskonzeption gibt es Konzessionen und Einwände, sodass viele Wissenschaftler (u.a. Ott und Döring) heute für ein modifiziertes Konzept starker Nachhaltigkeit plädieren.




Inhaltsverzeichnis

1.

Theoretische Grundlagen des Konzepts von Nachhaltigkeit
1.1  Einleitung
1.2   Was ist Gerechtigkeit?
1.3 

Gerechtigkeitstheoretische Grundlagen von Nachhaltigkeit
2.  Schwache und Starke Nachhaltigkeit
2.1   Einführung
2.2   Schwache Nachhaltigkeit
2.3   Starke Nachhaltigkeit
2.4 Vermittelnde Positionen
2.5 Position nach Ott und Döring
3. Die Insel Nauru
3.1 Geschichte
3.2

Aspekte der schwachen und der starken Nachhaltigkeit
4. Björn Lomborg & Kopenhagen Konsens
4.1 Hintergrund
4.2

Operationalisierung - Der Kopenhagen Konsens
4.3 Gerechtigkeit
5. Schlussbetrachtung
6. Quellen
Die "richtige" Struktur "kollektiver Hinterlassenschaften" als Schlüsselbegriff

Ihrer Verpflichtung gegenüber zukünftigen Generationen kommt die gegenwärtige nach, indem sie "kollektive Hinterlassenschaften" bildet. Schwache wie auch starke Nachhaltigkeit erkennen diese intergenerationelle Verpflichtung gemäß einem komparativ-egalitäre Standard an: Zukünftigen Generationen soll die Möglichkeit, ein "gutes Leben" zu verwirklichen, gewehrt werden. Hinsichtlich der "richtigen" Struktur fairer kollektiver Hinterlassenschaften unterscheiden sich die verschiedenen Nachhaltigkeitskonzeptionen jedoch grundsätzlich.

Kollektive Hinterlassenschaften sind mit dem Aufbau, dem Erhalt und der Reproduktion von Kapitalbeständen verbunden. In der Ökonomik wird unterschieden zwischen:
1. Sachkapital,
2. Naturkapital (32),
3. Kultiviertes Naturkapital,
4. Sozialkapital (z.B. moralisches Orientierungswissen),
5. Humankapital (Fertigkeiten, Bildung), 6. Wissenskapital.

Die paradigmatischen Grundkonzepte von schwacher und starker Nachhaltigkeit unterscheiden sich generell hinsichtlich der Beurteilung der Substitutionsmöglichkeit von Natur- durch Sachkapital, welche Fragen einer möglichen Kompensation zukünftiger Schäden, sowie die Anwendung der Diskontierungstechnik einschließt.

Wenn Naturkapital vollständig oder sehr weitgehend durch Sachkapital ersetzt werden könnte, so müsste zukünftigen Generationen nur wenig Naturkapital hinterlassen werden. Andere Kapitalien würden mindestens einen gleich hohen Nutzen stiften.
Eine hintergründige Frage bezüglich der Wahl der angemessenen Konzeption lautet daher, ob die Selbsterzeugung menschlicher Wohlfahrt in der Emanzipation von der Natur besteht. Können die Menschen ihre Wohlfahrt ausschließlich aus ihren eigenen Erzeugnissen heraus schaffen?


(32)
Der Begriff Naturkapital kann weiter differenziert werden, z. Bsp. in:
(a) sich selbst erneuernde und nicht-erneuerbare Ressourcen,
(b) Naturkapital und kultiviertes, durch menschliche Tätigkeiten überformtes Naturkapital.


2.2 Schwache Nachhaltigkeit

2.2.1 Theoretische Rahmung

Das Konzept der schwachen Nachhaltigkeit geht grundsätzlich von einer Substituierbarkeit von Natur- durch Sachkapital aus und begründet dies mit verschiedenen Argumenten:

"non-declining utility rule"

Eine der grundlegenden Forderungen des Konzeptes schwacher Nachhaltigkeit lautet: Der durchschnittliche Nutzen zukünftiger Personen muss mindestens dem heutigen Durchschnittsnutzen entsprechen und dauerhaft erhalten werden können. Dabei ist es unerheblich, wodurch der Nutzen gestiftet wird. "Nutzen" ist nur ein Platzhalter für all die Begriffe, die zum Ausdruck bringen, "was für den Menschen gut ist".

Nutzen entsteht entsprechend der ökonomischen Lehre immer dann, wenn Präferenzen realisiert werden. Nutzen wird als Funktion von Konsum definiert. Konsum wiederum ist ein vielschichtiger Begriff, der neben der materiellen auch die verbrauchsneutrale, immaterielle Konsumption (33) einschließt. Um jedoch in der Ökonomik eine Monetarisierbarkeit und Berechenbarkeit gewährleisten zu können, wird der Konsumbegriff eingeschränkt und mit dem Kauf von Waren gleichgesetzt.

Gilt bezüglich der intergenerationellen Gerechtigkeit das Mindestgebot der Aufrechterhaltung des heutigen Durchschnittsnutzens und wird zugleich der Konsumbegriff auf Waren und Dienstleistungen reduziert, so muss vor allem in die Kapitalbestände investiert werden, die derartige Nutzströme erzeugen: d.h. in Sachkapital.
(33)
z.B. Konsum als Naturerfahrung: ein schöner Ausblick, das Beobachten eines Sonnenuntergangs, der "Konsum" der Nähe eines anderen Menschen


Sukzessive Anpassung zukünftiger Präferenzen

Im Konzept schwacher Nachhaltigkeit wird häufig angenommen, dass sich zukünftige Präferenzen sukzessive an eine zukünftige Welt anpassen werden. Würde Natur - weitgehend durch Sachkapital ersetzt werden, würden sich die Präferenzen der Menschen auch immer weniger an Naturkapital orientieren. Hierbei besteht jedoch ein grundsätzliches Problem: Weder dürfen Ökonomen Präferenzen vorschreiben, noch können sie genaue Voraussagen, sondern nur Annahmen über die Präferenzen zukünftiger Generationen treffen.


(34)
Jedoch ist diese Annahme meist nur theoretisch herleitbar. Oft wird auf die Vergangenheit und auf bestehende Substitutionsmöglichkeiten hingewiesen. Dabei hat sich der Substitutionsoptimismus am Musterbeispiel der Substitution von Rohstoffen und Energieträgern orientiert. Problematisch wird diese Annahme bei einer Verallgemeinerung auf sämtliche Naturgüter.
Portfolio-Perspektive

Die verschiedenen Kapitalbestände der Gesellschaft werden entsprechend der schwachen Nachhaltigkeitskonzeption unter einer Portfolio-Perspektive betrachtet. Dabei ist das Naturkapital im "Portfolio" der Gesellschaft nur einer von mehreren Posten, die zum menschlichen Wohlergehen beitragen. Im Hinblick auf die gewinnmaximierende Absicht ist es zulässig, Verschiebungen im Portfolio vorzunehmen. Der Portfolio-Manager entscheidet unter dem konzeptionellen Zwang der Effizienz über Substitutionsmöglichkeiten im Portfolio. Der Erhalt von Naturkapital muss sich so gegenüber anderen Ertragsarten behaupten. Ist dieser Nachweis nicht zu erbringen, scheint es entsprechend der Effizienzkriterien ökonomisch rationaler, Entscheidungen für die Substitution von Naturkapital zu treffen.


Mechanische und atomistische Naturauffassung

Der Substitutionsoptimismus wird außerdem geprägt durch eine mechanische und atomistische Naturauffassung, in der Neuzeit entwickelt vor allem von Descartes, Bacon, Marx und Kant:

Die äußere Natur wird als wertfreie Objektivität, widerständige Materie, unerschöpfliche oder knappe Ressource begriffen und demzufolge als Gegenstand von Erkenntnis, Substrat technologischer Manipulation und produktiver Aneignung. Die Eigenschaften dessen, was als "Materie" oder "Stoff" aufgefasst wird, sind unerheblich im Vergleich zu den wertbildenden Eigenschaften, die Menschen dem Stoff durch Arbeit oder Technik hinzufügen. Natur ist nichts als Rohstoff. Der Sonderstatus des Lebendigen gegenüber der anorganischen Materie wird nicht mehr angemessen gewürdigt. Indefinite Substituierbarkeit impliziert schließlich, dass es nichts in der außermenschlichen Natur geben kann, das über den Preis erhaben ist. Somit wird in der Konzeption schwacher im Gegensatz zur starken Nachhaltigkeit der moralische Selbstwert von Naturwesen nicht anerkannt.


Technikoptimismus

Des Weiteren wird der Substitutionsoptimismus der schwachen Nachhaltigkeitskonzeption dadurch gerechtfertigt, dass in allen Fällen eine Substitution natürlicher Ressourcen durch technologischen Fortschritt möglich sein wird. (34)

Dabei vertrauen Ökonomen auf folgendes Denkschema: Preise spiegeln Knappheit adäquat wieder. Steigen die Preise als Folge der Verknappung einer Ressource beginnt ein Suchprozess nach Substituten. Grundlegend ist die Annahme, dass diese Suche immer erfolgreich sein wird: Im Verlauf der Zeit wird eine neue Technologie am Markt konkurrenzfähig, setzt sich durch und verbreitet sich. Knappheit kann demnach auftreten. Unlösbare Knappheitsprobleme wird es jedoch nicht geben, da der Preismechanismus als Auslöser für den Suchprozess wirkt.

Die aus der Vergangenheit hergeleitete Annahme, man habe bisher immer das entsprechende Substitut gefunden und wird es also auch in Zukunft finden, ist jedoch durch die bereits erwähnte Induktionsproblematik logisch nicht herleitbar. Diese Formulierung entspricht lediglich einer Vermutung über die Zukunft.


2.2.2 Substitution

Entscheidend für intergenerationelle Gerechtigkeit aus dem Blickwinkel des Konzeptes der schwachen Nachhaltigkeit ist der konstante summative Gesamtbestand an Kapitalien und nicht deren konkrete Struktur. In der ökonomischen Literatur werden die Bedingungen für die Substituierbarkeit von Natur- durch Sachkapital meist in Modellen mit unbegrenztem Zeithorizont (35) und ohne technischen Fortschritt untersucht. Die entscheidende Größe ist die Substitutionselastizität ". Sie definiert das Ausmaß der Substitutionsmöglichkeit von Natur- durch Sachkapital. Je höher der Wert der Substitutionselastizität ist, um so leichter können beide Faktoren gegen-einander eingesetzt werden.

Auf die spezifischen Produktionsfunktionen (36), d.h. ökonomische Rechenmodelle, genauer einzugehen, würde an dieser Stelle den Rahmen der Ausarbeitung sprengen. Da sich die Spannbreite von schwachen über vermittelnde bis hin zu Konzeptionen starker Nachhaltigkeit im Wesentlichen darin unterscheidet, in wie weit Natur durch Sachkapital ersetzt werden kann, soll hier ein Überblick über das Ausmaß der Substitutionsmöglichkeit anhand der Substitutionselastizität " gegeben werden (37):

σ > 1: Die natürliche Ressource kann vollständig substituiert werden. Die Ressource ist im Grunde unnötig. Das Konsumniveau kann ohne diese Ressource erhalten werden.

σ = 1: Unter bestimmten Bedingungen ist das Naturkapital nicht wesentlich, um um ein positives Produktions- und Konsumniveau im Zeitablauf aufrecht erhalten zu können. Das maximale Produktionsniveau wird dann erreicht, wenn die Ressourcenrenten, d.h. die Entlohnung des Ressourceninhabers, aus dem Einsatz von Naturkapital vollständig in Sachkapital reinvestiert werden.

0 < σ < 1: Die natürliche Ressource ist essentiell. Die Frage ist, wie gering der Beitrag der Ressource zur Produktion werden kann und ob durch technischen Fortschritt eine Substitution möglich wird. Ansonsten würde das Produktions- und Konsumniveau im Laufe der Zeit auf Null absinken. Diese Annahme für die Substitutionselatizität betrifft die Mehrzahl aller natürlicher Ressourcen.

σ = 0: Natur- und Sachkapital stellen perfekte Komplemente dar und können nicht substituiert werden.

Die indefinite Substitution von Natur- durch Sachkapital wird inzwischen auch von vielen Ökonomen zurückgewiesen. Konzepte schwacher Nachhaltigkeit mit gewissen Konzessionen an eine nicht indefinite Substitution müssten demnach die Substitutionselastizitäten der unterschiedlichen Arten der Naturkapitalbestände ermitteln. Außerdem ist anzunehmen, dass sich kleinere Einbußen an Naturkapital leichter substituieren lassen als komplette und irreversible.
(35)
Auch wenn diese Rechenmodelle mit dem Unendlichkeitszeichen arbeiten gilt dennoch die schweigende Annahme, dass sie einen Zeitraum von 50 bis 60 Jahren umfassen.

(36)
Erwähnt sei hier nur die Cobb-Douglas-Funktion als eine der am häufi gsten verwendeten Produktionsfunktionen.

(37)
nach Konrad Ott und Ralf Döring, Theorie und Praxis starker Nachhaltigkeit, Marburg 2004,
S. 112


2.2.3 Kompensation

Aufbauend auf den Substitutionsoptimismus wird hinsichtlich der intergenerationelle Gerechtigkeit davon ausgegangen, dass zukünftige Verlierer von Umweltveränderungen angemessen entschädigt werden können. Der Verlust an Naturkapital soll durch die verbesserte Produktion von Konsumgütern und Dienstleistungen einschließlich kultureller Angebote ersetzbar sein.
Dass die Benachteiligten entschädigt werden sollen, ist ein Grundsatz der korrektiven Gerechtigkeit, der hier vorausgesetzt wird. Neben den bereits angesprochenen Problemen bzw. widersprüchlichen Annahmen, die dem Substitutionsoptimismus der Konzeption schwacher Nachhaltigkeit zu Grunde liegen, stellt sich hier wiederum das "Präferenzen-Problem". Es wird vorausgesetzt, dass die zukünftigen Empfänger der Kompensation mit dieser einverstanden sein werden, wenn ihr Nutzen dadurch anwächst oder zumindest nicht absinkt. Die Bedürfnisse zukünftiger Generationen sind jedoch unbekannt. Es können nur Annahmen darüber getroffen werden. Und Ökonomen dürfen keine Präferenzen vorschreiben. Unter diesen Gesichtspunkten ist es schwierig, den fortschreitenden Naturverbrauch mit der möglichen Kompensation durch Geld, Waren oder Dienstleistungen zu rechtfertigen.


Inhaltsverzeichnis

1.

Theoretische Grundlagen des Konzepts von Nachhaltigkeit
1.1  Einleitung
1.2   Was ist Gerechtigkeit?
1.3 

Gerechtigkeitstheoretische Grundlagen von Nachhaltigkeit
2.  Schwache und Starke Nachhaltigkeit
2.1   Einführung
2.2   Schwache Nachhaltigkeit
2.3   Starke Nachhaltigkeit
2.4 Vermittelnde Positionen
2.5 Position nach Ott und Döring
3. Die Insel Nauru
3.1 Geschichte
3.2

Aspekte der schwachen und der starken Nachhaltigkeit
4. Björn Lomborg & Kopenhagen Konsens
4.1 Hintergrund
4.2

Operationalisierung - Der Kopenhagen Konsens
4.3 Gerechtigkeit
5. Schlussbetrachtung
6. Quellen














(38)
Da eine Vertiefung in ökonomische Rechenmodelle wiederum den Umfang dieser Ausarbeitungen sprengen würden, nehmen wir diese Aussage so an. Für eine weiterführende Erläuterung des Verfahrens der Diskontierung siehe Konrad Ott und Ralf Döring, Theorie und Praxis starker Nachhaltigkeit, Marburg 2004,
S. 121 ff.
Uns interessiert hier vor allem die Einbindung der Nachhaltigkeitskonzeption in eine allgemeine Theorie von Gerechtigkeit und der daraus resultierende Konflikt hinsichtlich der intergenerationellen Verpflichtungen.

(39)
Vgl. Konrad Ott und Ralf Döring, Theorie und Praxis starker Nachhaltigkeit, Marburg 2004,
S. 123

(40)
Mittels der sozialen Diskontrate werden bei öffentlichen Investitionsentscheidungen langfristige Kosten und Nutzen abdiskontiert.

(41)
Diese Regel gilt unabhängig davon, welches Nachhaltigkeitskonzept gewählt wird.

(42)
Vgl. Konrad Ott und Ralf Döring, Theorie und Praxis starker Nachhaltigkeit, Marburg 2004,
S. 127
2.2.4 Diskontierung

Die vom Konzept schwacher Nachhaltigkeit geforderte Einhaltung des "non-declining utility rule"muss mit dem Ziel der Maximierung des "net present value" (NPV), der Maximierung des Gegenwartswertes, konsistent verknüpft werden. Dafür spielt die Diskontierung eine entscheidende Rolle.

Die Diskontierung ist ein Routineverfahren in der Ökonomik, um Kosten und Nutzen, die zu unterschiedlichen Zeitpunkten anfallen, miteinander vergleichen zu können. Alle Zahlenwerte werden auf den Zeitpunkt "Null" bezogen, unabhängig davon, wie weit sie in der Zukunft liegen. Über zukünftige Werte bzw. Preise können dabei noch keine genauen Aussage getroffen werden.
Das übliche Verfahren der Diskontierung erweist sich dabei für rein monetäre, kurzfristige Kosten und Nutzen als unproblematisch. Es bewirkt jedoch eine starke Minderschätzung weit in der Zukunft liegender Ereignisse (38) und tritt damit in Konflikt mit dem in der Nachhaltigkeitsidee verankerten Anspruch der intergenerationalen Gerechtigkeit.
Von Vertretern der schwachen Nachhaltigkeit werden dennoch Gründe angeführt, die die Diskontierung aus deren Sicht rechtfertigen (39):

(1) Individuen besitzen eine Zeitpräferenzrate, d.h. sie ziehen Konsum heute dem Konsum morgen vor.

(2) Durch anhaltendes Wirtschaftswachstum geht es zukünftigen Generationen besser, so dass aus Gründen intergenerationeller Gerechtigkeit diskontiert wird, da so die heutige Generation mehr konsumieren kann.

(3) Es besteht Unsicherheit über zukünftigen Entwicklungen und über die Präferenzen zukünftiger Generationen.

Zu (1): Die Zeitpräferenzrate beruht auf der Annahme, dass Individuen myopisch, d.h. ungeduldig sind: Ein Güterbündel heute wird einem Güterbündel morgen vorgezogen. Myopisches Verhalten könnte jedoch aufgrund der fehlenden Konsummöglichkeit morgen bereut werden.
Solange sich die Diskontierung zukünftiger Nachteile für ökonomisch rational handelnde Individuen nur auf deren individuelle Lebensplanung bezieht, ist dies auch moralisch kein Problem.
In der Ökonomik wird das Konzept der individuellen Myopie jedoch auf die gesamte Gesellschaft übertragen. Dabei weicht man vom Individualismus ab. Es wird ein unendlich lang lebendes, myopisches Individuum unterstellt, welches eine Gesellschaft vieler Individuen repräsentiert, um daraus die "soziale Diskontrate" (40) abzuleiten. Die Minderschätzung der Wohlfahrt zukünftiger, anderer Individuen wird so zu einer myopischen Minderschätzung des zukünftigen, eigenen Zustandes. Genau hierin liegt die Unzulässigkeit: eine zukünftige Person als einen eigenen zukünftigen Zustand zu modellieren.

Zu (2) In der Ökonomik wird Wachstum mit der Zunahme des Konsumgüterangebotes gleichgesetzt. Die Annahme eines anhaltenden Wirtschaftswachstums ist somit an die Annahme eines stetigen Zuwachses an materiellen Gütern und Konsumchancen gekoppelt. Bezogen auf die Behauptung, Diskontierung erzeuge intergenerationelle Gerechtigkeit, dürfte demnach nur dasjenige abdiskontiert werden, das in Zukunft reichhaltiger vorhanden ist als zum gegenwärtigen Zeitpunkt, d.h. primär Sachkapital. Viele Elemente des Naturkapitals, die in Zukunft wahrscheinlich knapper sein werden als gegenwärtig, dürften nicht abdiskontiert, sondern müssten sogar mit einer negativen Diskontrate versehen werden.
Der Einsatz der Diskontierungstechnik ist somit abhängig von Prognosen und Szenarien über sich verändernde Knappheiten verschiedener Güter.

Zu (3): Das dritte Argument bezieht sich zum Einen auf die Unsicherheit der Konsequenzen unseres Tuns auf zukünftige Generationen, zum Anderen auf die Ungewissheit hinsichtlich deren Präferenzen. Es kann nicht mit letzter Sicherheit davon ausgegangen werden, dass die Folgen heutiger Handlungen den Menschen zukünftiger Generationen in genau demselben Maße Schaden zufügen würden wie den Menschen heute.
Aus dieser Ungewissheit lässt sich eine "Begründungslastregel" (41) ableiten: Wer irgend etwas Zukünftiges diskontieren möchte, hat die Darlegungslast, dass die Diskontierung unter den Aspekten "What? Why? How? Who?" mit den Prinzipien und Standards intergenerationeller Gerechtigkeit zu vereinbaren ist. (42)
Es ergibt sich daher nicht die zwingende Notwendigkeit, Diskontierung hinsichtlich der intergenerationellen Verpflichtung generell abzulehnen. Vielmehr ist anstatt von Standard-Diskontraten eine differenzierte Betrachtung notwendig. Die Art und Weise der Diskontierung sollte abhängig gemacht werden von den einzelnen Kapitalbeständen, deren Knappheit etc.


2.3 Starke Nachhaltigkeit

2.3.1 Theoretische Rahmung

In der Konzeption der starken Nachhaltigkeit, die zur Ökologischen Ökonomik i.w.S. zählt, wird das menschliche Wirtschaftssystem nur als ein Teilsystem der umfassenden, durch den Aufbau negentropischer Strukturen gekennzeichneten Geo- und Biosphäre betrachtet. Von diesen negentropischen Strukturen ist die Ökonomie hinsichtlich der Ressourcenverfügbarkeit abhängig. Grundsätzlich fragt das starke Nachhaltigkeitskonzept daher nach den Grenzen der Inanspruchnahme der Biosphäre durch das ökonomische System.
Gemäß der ökonomischen Logik muss jeweils in den die Produktion limitierenden Faktor investiert werden. Da bereits jetzt eine Verknappung von Einzelbeständen des Naturkapitals erkennbar ist, ist das Natur- und nicht das Sachkapital der limitierende Faktor.


 
Komplementaritätsthese

Komplementarität bedeutet, entsprechend der ökonomischen Theorie, wenn zur Herstellung eines Gutes und zur Bereitstellung einer Dienstleistung ein bestimmtes Verhältnis an Input verschiedener Produktionsfaktoren notwendig ist. In der Regel geht man von limitationalen Produktionsfunktionen aus: Bei einem bestimmten Faktorverhältnis liegt eine Substitutionsmöglichkeit vor. Diese jedoch erfordert eine immer höhere Inputmenge des anderen Faktors, je kleiner der Input des ersten Faktors wird.
Das Konzept der starken Nachhaltigkeit sieht weitestgehend eine Komplementarität zwischen Natur- und Sachkapital vor. Die Komplementaritätsthese bezieht sich jedoch nur auf instrumentelle Werte der Natur, die auch tatsächlich in den Produktionsprozess eingeht.


Constant natural capital rule (CNCR)

Die Schlussfolgerung, der Gesamtbestand an Naturkapital sollte konstant erhalten werden, bzw. die Ergänzung um eine Investitionsregel (zukünftig verstärkte Investition in Naturkapital) leitet sich ab aus der Komplementaritätsthese, der Verpflichtung zur intergenerationellen Gerechtigkeit, sowie der Diagnose eines sich geschichtlich verändernden Musters an Knappheit (zunehmende Knappheit an Natur- und nicht an Sachkapital).
Die Komplentaritätsthese ist somit funktional auf das CNCR bezogen; das CNCR hingegen ist die oberste Regel nachhaltiger Entwicklung. Aus dem CNCR können verschiedene Management-Regeln abgeleitet werden.


(43)
In der Ethik und Normlogik gilt als allgemein anerkannt gilt, dass sich aus unterschiedlichen Prämissen die gleiche Konklusion ergeben kann, d.h. in diesem Fall das CNCR als oberste Regel nachhaltiger Entwicklung.
2.3.2 Substitution

Es ist jedoch fraglich, ob die Substitutionselastizität generell σ = 0 gesetzt werden muss, wie von Vertretern der starken Nachhaltigkeitskonzeption verlangt wird. Zum Einen gibt es viele exemplarische Fälle einer erfolgreichen Substitution von Natur- durch Sachkapital, zum Anderen kann kultiviertes Naturkapital oft ökologische Funktionen von Naturkapital übernehmen.

Eine Konsequenz aus dieser Feststellung wäre, spezifische Substitutionselastizitäten fallweise empirisch zu ermitteln (vermittelnde Nachhaltigkeitskonzeptionen). Die differenzierte Festlegung einzelner Substitutionselastizitäten ist dennoch mit dem CNCR vereinbar, da, auch im Falle einer modifizierten Komplementaritätsthese, andere Argumente zugunsten des CNCR angeführt werden können (43).


Eudaimonistische Argumentation in der Umweltethik

Während sich die Komplementaritätsthese nur auf die instrumentellen Werte der Natur, die auch in die Güterproduktion eingeht, bezieht, stellt sich, von einer eudaimonistischen Ethikkonzeption aus betrachtet, noch eine ganz andere Frage: Nicht nur, ob Natur- durch Sachkapital substituieren kann, sondern, ob diese Substitution überhaupt gewollt werden soll.

Entscheidend ist bei dieser Argumentation nicht die Rolle des Naturkapitals im Produktionsprozess, sondern seine Bedeutung für das soziale, geistige und kulturelle Leben insgesamt. Eudaimonistische Werte der Natur beziehen sich auf naturästhetische Erfahrungen, Heimatverbundenheit, Erholung etc.
Im Vergleich mit der schwachen Nachhaltigkeit argumentieren Vertreter starker Nachhaltigkeitskonzeptionen nicht nur deontologisch, sondern auch nach eudaimonistischen Wertekategorien. Ökonomische Prozesse werden somit in die Komplexität des ökologischen, sozialen und kulturellen Lebens eingebettet. Als Konsequenz aus dieser Argumentation ergibt sich jedoch eine eingeschränkte Formalisierbarkeit, da die angeführten Wertekategoien nicht immer unmittelbar monetarisierbar sind.


 
2.3.3 Kritik am Konzept starker Nachhaltigkeit

Die starke Nachhaltigkeitskonzeption wird vor allem dahingehend kritisiert, dass sie Natur:

(1) statisch konservieren würde. Die hohe innere Dynamik natürlicher Systeme mache eine "Konservierung" jedoch unmöglich.

(2) den "bedingungslosen Erhalt" jeder Spezies fordern würde. Diese Forderung sei moralisch kontraintuitiv, da dann viele Konflikte zu Ungunsten menschlicher Bedürfnisse entschieden werden müssten. Die Konzeption starker Nachaltigkeit sei somit tendenziell inhuman und misanthropisch.

Zu (1): Dieser Einwand ist nicht zutreffend, da das CNCR keine statische Konservierung einzelner Naturbestände impliziert, sondern bei einer differenzierten Betrachtung des Naturkapitals Spielraum für eine innere Dynamik zulässt.

Zu (2): Auch dieser Einwand trifft nicht zu, da die entsprechend dem CNCR bestehende Verpflichtung zum Artenschutz in begründeten Einzelfällen höheren Verpflichtungsgründen untergeordnet werden kann. Somit wird nicht der "bedingungslose Erhalt" einer jeden Spezies gefordert, sondern es besteht eine "prima-facie-Verpflichtung" die bei starken Gegengründen außer Kraft gesetzt werden kann.


Hartwick-Regel

Auch lehnt die starke Nachhaltigkeitskonzeption die Nutzung nicht-erneuerbaren Naturkapitals nicht vollständig ab. Vielmehr wird auf die Hartwick-Regel verwiesen und diese durch eine Sparsamkeitsanforderung ergänzt:

Die Hartwick-Regel fordert, dass Ressourcenrenten aus dem Verbrauch nicht-erneuerbarer Ressourcen in erneuerbare investiert werden sollen. Die Sparsamkeitsregel sorgt für eine stärkere Berücksichtigung der Grenzen der Belastbarkeit der Biosphäre und die langfristige Option auf höherwertige Verwendungsweise bestimmter nicht-erneuerbarer Naturkapitalien.


(44)
WBGU - Wirtschaftlicher Beirat Globaler Umweltprobleme

(45)
Vgl. Konrad Ott und Ralf Döring, Theorie und Praxis starker Nachhaltigkeit, Marburg 2004,
S. 148
2.4 Vermittelnde Positionen

Vermittelnde Positionen versuchen, die Stärken der schwachen und der starken Nachhaltigkeitskonzeption zu verbinden und deren Schwachpunkte zu vermeiden. Zumeist wird dabei auf Annahmen verzichtet die als unnötig stark erscheinen. Zu Vertretern von vermittelnder Positionen in der Nachhaltigkeitsdebatte zählen Lerch und Nutzinger (1998), sowie Steurer (2001).

Die Vertreter vermittelnder Nachhaltigkeitskonzeptionen wenden sich gegen eine Pauschalisierung und plädieren statt dessen für eine empirische Prüfung im Einzelfall. Natur- und Sachkapital sind teilweise komplementär, teilweise substituierbar. Substitution wird erlaubt, solange das "kritische" Naturkapital, d.h. die für die menschliche Wohlfahrt essentielle Substanz an Naturkapital, nicht angegriffen oder in seiner Funktion gefährdet wird. Somit wird unterschieden zwischen dem "überflüssigen" und dem "notwendigen" Bestand an Naturkapital.

Das "kritische" Naturkapital umfasst globale Stoffkreisläufe wie auch zentrale Ökosystemfunktionen. Der WBGU (44) hat dazu ein normatives Prinzip formuliert: "[ein] Verbot für alle Eingriffe des Menschen (...), bei denen globale Regelkreise nachweislich gefährdet sind." (45) Dieses Verbot impliziert jedoch auch die Möglichkeit, nicht-kritische Naturkapitalien substituieren zu können.

Die Kritik an vermittelnden Nachhaltigkeitskonzeptionen liegt darin, dass der Bestand des kritischen Naturkapitals nur sehr schwer identifiziert werden kann. Naturkapitalien sind keine homogene oder monolithische Substanz, sondern Aspekten wie der Retinität oder der Heterogenität unterworfen.
Zudem sind für unterschiedliche Personengruppen unterschiedliche Formen von Naturkapitalien auf unterschiedlichen Skalen notwendig.


2.5 Positionierung nach Ott und Döring

Die Extrempositionen "sehr schwache" wie auch "sehr starke" Nachhaltigkeit gelten inzwischen allgemein als inakzeptabel, die Diskussion über die letztendlich zu wählende Konzeption ist jedoch hochaktuell und wird immer noch fortgeführt. Daher wollen wir in dieser Ausarbeitung zusätzlich auf die Position von Ott und Döring eingehen, die uns in ihrer Begründung als sehr schlüssig und auf gegenwärtige Problemstellungen Antworten zu bieten scheint.
Ott und Döring plädieren für eine "starke Nachhaltigkeit mit kontrollierten Modifikationen zugunsten partieller Substitution im Produktionsbereich". Sie bezeichnen dabei ihre Haltung, mit Verweis auf den Fortgang der Diskussion, nicht als eine "Letztbegründung", sondern als ein "begründetes Urteil praktischer Vernunft" (46). Mit Bezug auf die im oberen Teil dieser Ausarbeitung ausführlich erläuterten verschiedenen Positionen in der Nachhaltigkeitsdebatte werden hier noch einmal einige Gründe für die Wahl von Ott/Döring zusammengfasst (47):

(1) die Ungewissheit hinsichtlich zukünftiger Präferenzen

(2) das Vorsorgeprinzip angesichts von Ungewissheit

(3) die größere Wahlfreiheit für zukünftige Generationen

(4) die Multifunktionalität ökologischer Systeme

(5) die stärkere Berücksichtigung eudaimonistischer Werte

(6) keine Ethik der Maximierung des Gegenwartswertes

(7) die Schwierigkeiten bei der Identifikation des "kritischen" Naturkapitals und damit einhergehend Unklarheiten vermittelnder Positionen
(46)
Vgl. Konrad Ott und Ralf Döring, Theorie und Praxis starker Nachhaltigkeit, Marburg 2004,
S. 161

(47)
Vgl. Konrad Ott und Ralf Döring, Theorie und Praxis starker Nachhaltigkeit, Marburg 2004,
S. 160f


3. Nauru

Am Fallbeispiel der Republik Nauru kann sehr eindeutig dargestellt werden, welche Folgen die Durchführung des Konzeptes der schwachen Nachhaltigkeit in der Realität haben kann. Das Substitutionsprinzip, Kern der schwachen Nachhaltigkeit, wurde hier beinahe vollständig praktiziert. Die Folgen allerdings waren weit entfernt von einer nachhaltigen Entwicklung des Staates.
Die vollständige Substituierung des Naturkapitals, dem außergewöhnlichen Vorkommen großer Mengen reinsten Phosphates, durch Sachkapital führte letztendlich zur Verarmung eines ehemals reichen Inselstaates.


 
3.1 Geschichte

Im Jahr 1900, Nauru war damals von Deutschland annektiert, wurden umfangreiche und wertvolle Phosphatvorkommen auf der Insel entdeckt. Seither wurden die Phosphatbestände kontinuierlich abgebaut - zunächst unter deutscher, später unter australischer und schließlich unter eigener Flagge.
Seit der Verstaatlichung des Phosphatabbaubetriebes 1970 konnten die daraus erzielten Gewinne zu großen Teilen zur Bereicherung der eigenen Bevölkerung genutzt werden. So gab es bis 2001 auf Nauru weder Steuern, noch zahlungspflichtige medizinische Versorgung. Zwischenzeitlich erwirtschaftete die Republik weltweit das zweithöchste Pro-Kopf-Einkommen. Die Bewohner, die größtenteils nicht notwendigerweise erwerbstätig sein mussten, waren in der Lage, Luxusgüter aus Australien anzuhäufen, der Staat leistete sich eine eigene Fluggesellschaft. Die Folge des schnell gestiegenen Wohlstandsniveaus war u. a. die starke Verbreitung von Wohlstandskrankheiten wie Alkoholismus und Diabetes.

Im Sinne einer nachhaltigen Wirtschaft bildete die Regierung aus den Überschüssen einen Kapitalfond, der mit Erscheinen auf ca. 1 Mrd. $ wert war und auf internationalen Kapitalmärkten und in Immobilien angelegt wurde. Die daraus erwirtschafteten Zinsen wären theoretisch ausreichend, den Lebensstandard der 13.000 Nauruer langfristig abzusichern.

Die Situation Naurus kippte jedoch um 2001 ins Gegenteil. Seit 2000 wurde aufgrund der allmählichen Erschöpfung des Vorkommens nur noch wenig Phosphat abgebaut. Wenngleich noch immer knapp die Hälfte der Erwerbstätigen (dies sind vor allem Gastarbeiter) im Phosphatbergbau arbeitet, ist es nicht mehr möglich, allein dadurch den Wohlstand zu erhalten. Zudem ging ein Großteil des angelegten Kapitals durch korrupte Finanzgeschäfte und Fehlinvestitionen verloren. Nauru lebt heute in potentieller Armut und versucht, sich durch Geschäfte mit Australien zu finanzieren. So fungiert die Insel als "Gefängnis" für inhaftierte afghanische, pakistanische und irakische Flüchtlinge, die in Australien Asyl suchen. Möglicherweise wird Nauru in Zukunft als Endlager für australischen Atommüll genutzt. Des Weiteren hofft die Regierung auf Entschädigungszahlungen von Australien für die Ausbeutung der Insel zwischen dem ersten Weltkrieg und der Unabhängigkeit 1968.
Nauru verfügt abgesehen vom Phosphat über keine anderen exportfähigen Ressourcen, selbst die Versorgung der eigenen Bevölkerung mit Nahrungsmitteln ist nicht möglich.



Inhaltsverzeichnis

1.

Theoretische Grundlagen des Konzepts von Nachhaltigkeit
1.1  Einleitung
1.2   Was ist Gerechtigkeit?
1.3 

Gerechtigkeitstheoretische Grundlagen von Nachhaltigkeit
2.  Schwache und Starke Nachhaltigkeit
2.1   Einführung
2.2   Schwache Nachhaltigkeit
2.3   Starke Nachhaltigkeit
2.4 Vermittelnde Positionen
2.5 Position nach Ott und Döring
3. Die Insel Nauru
3.1 Geschichte
3.2

Aspekte der schwachen und der starken Nachhaltigkeit
4. Björn Lomborg & Kopenhagen Konsens
4.1 Hintergrund
4.2

Operationalisierung - Der Kopenhagen Konsens
4.3 Gerechtigkeit
5. Schlussbetrachtung
6. Quellen








(48)
Nauru hatte den höchsten Nachhaltigkeitsindex (Vgl. Atkinson et al. 1997: 69 ff.)

(49)
Döring, R. - Wie stark ist schwache, wie schwach starke Nachhaltigkeit?
Diskussionspapier 08/2004

(50)
Aus: http://de.wikipedia.org/wiki/Nauru,
28.02.2006

(51)
Scherhorn, G., 2004: Natur und Kapital: Über die Bedingungen nachhaltigen Wirtschaftens.
In: Natur und Kultur, Jg. 5, S. 70
3.2 Aspekte der schwachen und der starken Nachhaltigkeit

Im Sinne der schwachen Nachhaltigkeit müßte Nauru als nachhaltigstes Land der Welt eingestuft werden (48). Entsprechend dem Substitutionsprinzip wurde (fast) das gesamte Naturkapital durch Sachkapital substituiert und gewinnbringend angelegt. "Von den erreichten Zinseinnahmen wurden etwa 1/3 gespart, so dass der "Genuine Saving"-Index bei 33" (49) also vergleichsweise hoch lag. Theoretisch wäre der angelegte Kaptitalfond also nicht nur ausreichend, die jetzige Generation zu versorgen, sondern zugleich die Entschädigung zukünftiger Generationen für das verbrauchte Naturkapital. Gerade hier aber zeigt sich die Schwäche des Systems, nämlich die Empfindlichkeit immaterieller Güter. Ein ausschließlich auf finanziellem Kapital basierender Kapitalstock wie der Naurus ist höchst anfällig für Korruption, Fehlinvestitionen und wirtschaftliche Krisen. Ein Wirtschaftssystem, das sich komplett auf Kapitalerträge stützt, funktioniert langfristig nur, wenn kontinuierlich optimal spekuliert wird und wirtschaftliche Krisen durch breite Streuung der Investitionen überbrückt werden können. Im Falle Naurus allerdings genügten schon vergleichsweise kleinere Fehlinvestitionen, um das Land finanziell zu ruinieren. "Beispielsweise finanzierte der Staat ein erfolgloses Musical in London, das nach der Premiere sofort abgesetzt wurde, oder man leistete sich einen überflüssigen Ableger der "University of South Pacific" (50).

Selbst wenn die Erlöse zukunftssicher investiert worden wären und Nauru den Wohlstand hätte langfristig erhalten können, ist dennoch das Substitutionsprinzip nicht tragfähig. Die Insel hat prinzipiell keine Möglichkeit die Bewohner autark zu versorgen, sie ist auf die globale Arbeitsteilung angewiesen. Nauru wäre nur unter der Voraussetzung nachhaltig bewohnbar, dass die Möglichkeit des Imports lebensnotwendiger Güter aus anderen Staaten gesichert ist. Eine weltweite Substituierung von Naturkapital, sprich eine Verallgemeinerbarkeit des Konzepts schwacher Nachhaltigkeit ist demnach nicht denkbar. "Die internationale Arbeitsteilung, von der Nauru profitiert, kann aber nicht funktionieren, wenn überall das Naturkapital aufgezehrt wird. Je mehr Naurus es gibt, desto knapper wird das Naturkapital auf der Erde. Dass auf Nauru das Naturkapital durch Finanzkapital substituiert wird, kann nur solange Erfolg haben, wie Nauru eine Ausnahme bleibt" (51).

Wie aber hätte sich Nauru entwickelt, wäre man dem Konzept der starken Nachhaltigkeit gefolgt? Das Folgende ist bloße Spekulation und dient im Wesentlichen der Illustration starker Nachhaltigkeit. Grundsätzlich

hätte man auf einen gänzlichen Abbau des Phosphats verzichten müssen. Wenngleich sich das Phosphatvorkommen selbst schwerlich bewirtschaften lässt, hätte dennoch zumindest der "kritische Bestand" den kommenden Generationen erhalten bleiben müssen. Auch heute noch nutzen viele Meeresvögel Nauru als Nistplatz und hinterlassen große Mengen Guano, aus dem das Phosphat gewonnen wird. Allerdings wurden im 20. Jh. Bestände abgetragen, die sich im Laufe von Jahrmillionen gebildet hatten.

Da von den "Zinsen" des Phosphatabbaus allein die nauruische Bevölkerung demzufolge nicht hätte leben können, wäre man zwangsläufig verstärkt auf andere Wirtschaftszweige ausgewichen. Ebenso hätte ein derartig schneller Umschwung aus der Armut in den Wohlstand und wieder zurück in die Armut unter Gewährung der starken Nachhaltigkeit nicht stattgefunden, da sich die Wirtschaft deutlich langsamer und kontinuierlicher hätte entwickeln können.

Wichtig ist an dieser Stelle, noch einmal auf die Forderung nach intergenerationeller Gerechtigkeit hinzuweisen. Auf Nauru wurde faktisch das gesamte Vermögen der Insel innerhalb einer Generation aufgezehrt. Die starke Verbreitung von Wohlstandskrankheiten zeigt deutlich, dass diese Generation zwar vom erreichten Wohlstand profitieren, allerdings nicht "gesund" damit umgehen konnte. Die Notwendigkeit des Besitzes von zwei bis drei Autos und einem Motorboot je Einwohner bei nur 29 Kilometern asphaltierter Straße ist jedenfalls sehr zweifelhaft.

So liegt es auf der Hand, dass die nauruische Regierung zum einen deutlich mehr Kapital hätte ansparen können. Zum anderen wären nach starker Nachhaltigkeit vor allem zukunftsfähige Neuinvestitionen auch in Naturkapital notwendig gewesen.


4. Björn Lomborg

Ein Großteil der ökonomischen Nachhaltigkeitsstrategien und -theorien lassen sich also auf einer imaginären Skala zwischen starker und schwacher Nachhaltigkeit einordnen und so miteinander vergleichen. Es soll nun ein Ansatz von Nachhaltigkeit vorgestellt werden, der in diese Kategorisierung nicht hineingehört - einerseits, weil er andere Ziele verfolgt und andererseits, weil er der gängigen Meinung über die ökologische und soziale Situation der Menschheit widerspricht. Gemeint ist die Strategie von Björn Lomborg, laut Time Magazine einem der 100 einflussreichsten Menschen der Welt.


 
4.1 Hintergrund

Björn Lomborg ist gelernter Statistiker und bezeichnet sich selbst als skeptischen Umweltschützer. Das ehemalige Greenpeacemitglied verdankt den Großteil seiner heutigen Weltsicht einem Interview mit dem Ökonomen Julian Simon. Dieser behauptete damals, "ein großer Teil von dem, was wir über die Umwelt zu wissen glauben, [beruhe] auf [...] mangelnden Statistiken". Bei dem Versuch, diese Behauptung wissenschaftlich und vor allem statistisch zu widerlegen, ändert Lomborg zunehmend seine Meinung und muss Simon schlussendlich zustimmen. Ergebnis dieser statistischen Auseinandersetzung ist Lomborgs aufsehenerregendes Werk "Apocalypse No" - in gewisser Weise statistisches Fundament zu Julian Simons Theorie.

Kern der Argumentation ist, dass das Gefahren- und Weltuntergangsszenario von Umweltaktivisten, Wissenschaftlern und vor allem der Presse wenn nicht erfunden, so zumindest überzogen und dramatisiert sei. Politische Entscheidungen, die auf bisher bekannten Annahmen über Regenwaldverlust, Ressourcenknappheit, Überbevölkerung usf. basieren, seien eher von Populisten gesteuert, als von tatsächlichen Fakten. In diesem Sinne versucht Lomborg anhand von 410 Seiten statistischer Analyse diese "Meinungen" zu entkräften. Lomborg betont immer wieder seine rationale und objektive Vorgehensweise. So nutzt er vor allem Statistiken und Werte, die allgemein anerkannt sind und teilweise von Institutionen wie Greenpeace oder der Welternährungsorganisation FAO selbst veröffentlicht wurden und hält auch daran fest, ohne zu spekulieren. In der Regel interpretiert er diese Werte jedoch direkt, ohne sie in einem Kontext zu beschreiben. Beispielsweise interpretiert er eine Studie der FAO zur Waldbedeckung ausschließlich quantitaiv - die Waldbedeckung der Erde habe sich seit 1950 nur wenig verändert. Dass diese Studie auch frisch geschlagene Flächen, sowie biologisch wertlose Pflanzungen umfasst, wird nicht berücksichtigt. Das Ergebnis seiner Analyse ist, dass sich alle von ihm untersuchten Trends durchaus positiv entwickeln und demzufolge von einer Apokalypse keine Rede sein kann.

Für eine umfassende Auseinandersetzung mit "Apocalypse No" fehlt hier der Platz und die Notwendigkeit, wenngleich die Hauptkritikpunkte sehr entscheidend für das Verständnis seiner Strategie sind (52). Björn Lomborg ist ein absoluter Fortschrittsoptimist, seine Strategie fundiert auf dem Glauben, dass der (technische) Fortschritt grundsätzlich positive Auswirkungen für die Menschheit hat und es nur eine Frage der Zeit ist, bis alle dringenden Probleme gelöst sind. Weiter ist seine Methodik, aus positiven Trends auf Gesetzmäßigkeiten zu schließen, sehr kritisch zu sehen. Er mißachtet hierbei die Tatsache, dass hinter den Trends jahrzehntelange Errungenschaften von Umweltorganisationen und politische Grundsatzentscheidungen (53) stecken, die durch apokalyptischen Glauben motiviert waren. Eine Entwicklung, die notgedrungen politisch gesteuert ist, kann schlechterdings nicht als naturgemäß eingeschätzt werden.

Interessant bei Lomborg ist jedoch nicht, dass er gängigen Meinungen widerspricht, sondern dass er zugleich von sich behauptet, es besser zu wissen und sogleich die Lösung der Menschheit größter Probleme liefert.
(52)
Sinngemäß aus: DIE ZEIT, 01.08.2002, Christiane Grefe, Wenn alles immer besser wird

(53)
z.B.: Emissionsschutz, Recycling, Katalysatoren, ...


4.2 Operationalisierung - Der Kopenhagen Konsens

Im Juni 2004 lädt Björn Lomborg 30 anerkannte Ökonomen, darunter drei Nobelpreisträger zum sog. Kopenhagen Konsens ein. Ziel der Übung ist nichts weniger als eine Priorisierung der größten globalen Aufgaben. Lomborg setzt hier bewusst ausschließlich auf Ökonomen und lässt Naturwissenschaftler außen vor. Seiner Ansicht nach seien Naturwissenschaftler zwar in der Lage, ihre eigene Disziplin hervorragend zu repräsentieren, allerdings außerstande, zwischen verschiedenen Disziplinen Prioritäten zu setzen. Prioritätensetzung sei demnach Sache der Ökonomen (54).

Für den Entscheidungsprozess wurden den Teilnehmern alle verfügbaren anerkannten Informationen, sowie je drei Expertenmeinungen zu jedem Thema zur Verfügung gestellt. Zusätzlich wurde jedes Themenfeld ausführlich diskutiert. Das Ergebnis des Kopenhagen Konsens ist eine Prioritätenliste, die globale Projekte in sehr gute, gute, ausreichende und schlechte Projekte unterscheidet. Den Entscheidungen liegt grundsätzlich eine rationale Kosten/Nutzen- Analyse zugrunde. Das beste Projekt ist demnach jenes, bei dem mit minimalem Kostenaufwand der maximale Erfolg erzielt werden kann. Der "maximale Erfolg" wird zwar prinzipiell als finanzieller Ertrag aufgefasst, bei den meisten Projekten allerdings sollte er eher als bestmöglicher Erhalt von Menschenleben aufgefasst werden. Auf Platz eins ist hier das Projekt AIDS - Bekämpfung. Mittels einer "Investition von 27 Milliarden US$ [könnten] bis 2010 nahezu 30 Millionen Infizierungsfälle verhindert" werden (55). Dem gegenüber steht an siebzehnter Stelle als mangelhaftes Projekt das Kyoto-Protokoll. Dieses wird als besonders schlecht eingestuft, weil der hohe Kostenaufwand sich hier nur marginal in finanziellen Nutzen für die Menschheit bzw. den Erhalt von Menschenleben niederschlägt. "Selbst wenn alle Länder sich im 21. Jh. Kyoto-konform verhielten, wäre die Wirkung dieser Politik kaum messbar. Die für das Jahr 2010 prognostizierte Erwärmung von zwei bis drei Grad würde eben sechs Jahre später erreicht" (56).

Der Kopenhagen Konsens versteht sich letztendlich auch als politische Richtlinie und soll nicht Theorie bleiben, dementsprechend groß ist die Kritik gerade von Seiten des Umweltschutzes. Lomborgs Sicht zum Umweltschutz aber ist aus einer anderen Richtung zu betrachten und kann auch als nachhaltig interpretiert werden. Die Kernaussage ist, dass die Weltgemeinschaft die Entwicklungsländer weniger verwundbar für die Folgen des Klimawandels machen müsse. Da der Umweltschutz der Industrieländer vorrangig ein Luxusproblem sei und der Klimawandel durch Kyoto ohnehin nur verzögert würde, wäre es besser, die Entwicklungsländer hätten frühzeitig die (finanziellen) Möglichkeiten, sich darauf vorzubereiten und entsprechend anzupassen. Umweltschutz kann nur ein Land praktizieren, das die finanzielle Fähigkeit dazu hat.
Im Folgenden soll nun dargestellt werden, wie sich die Methodik von Björn Lomborg in die eingangs erläuterte Systematik von Nachhaltigkeit einordnen lässt, und worin sie sich von starker und schwacher Nachhaltigkeit unterscheidet.
(54)
Sinngemäß in: DIE ZEIT, 05.01.2006, Ulrich Schnabel, Die andere Katastrophe

(55)
Vgl. http://www.copenhagenconsensus.com, 28.02.2006

(56)
Lomborg, B. in: DIE ZEIT, 05.01.2006,
Ulrich Schnabel, Die andere Katastrophe


4.3 Gerechtigkeit

Keine Prioritäten zu setzen ist ungerecht, verschwendet Ressourcen und kostet Leben (57).
Eine Theorie der Nachhaltigkeit ist nur dann tragfähig, wenn sie sowohl intra- als auch intergenerationelle Gerechtigkeit berücksichtigt (s.o.).

Lomborg bezieht sich, gerade durch den umsetzungsorientierten Kopenhagen Konsens grundsätzlich auf das Erreichen intragenerationeller Gerechtigkeit. Seinem Anspruch auf Objektivität wird er dadurch durchaus gerecht, da es ja bekanntlich nur innerhalb der eigenen Generation möglich ist, die Bedürfnisse der Menschen zu erfragen und zu bestimmen. Dennoch kann seine Gerechtigkeitstheorie als vollständig, also die intra- und intergenerationelle Gerechtigkeit berücksichtigend, angesehen werden. Durch seine statistischen Darlegungen definiert er quasi die intergenerationelle Gerechtigkeit als Vorraussetzung.

Davon ausgehend, dass alle Trends sich positiv entwickelten und der wissenschaftliche wie auch der wirtschaftliche Fortschritt den zukünftigen Generationen ohnehin ein besseres Leben ermöglichen würde, kann Lomborg die intergenerationelle Gerechtigkeit als gegeben und bewiesen ansehen. Handelt die Menschheit demnach intragenerationell optimal, so ergibt sich zwangsläufig eine fortdauernde Verbesserung der intergenerationellen Gerechtigkeit. Ziel ist es also, den Fortschritt der eigenen Generation zu beschleunigen und vor allem durch objektive Bewertung effizient zu steuern - unbeeinflusst von der Medienwirksamkeit der Probleme an sich (58).

Weiter lässt sich Lomborgs Gerechtigkeitsmodell in den Bereich der konsequentialistischen Ethik einordnen. Ausschlaggebend für die Entscheidung, ausschließlich Ökonomen beraten zu lassen, die ja theoretisch allen Themenkomplexen fachfremd sind ist ja gerade der Anspruch an objektive Konsequenzen. Rational und objektiv handelt nur der, der frei von jeglichen Idealen und Prinzipien entscheidet, ergo der Ökonom. Auch die Bewertungsmaßstäbe des Kopenhagen Konsens zeigen, dass die Projekte eindeutig und ausschließlich nach ihrer unmittelbaren Konsequenz beurteilt wurden (59). Kulturelle Prinzipien oder Werte bleiben ebenso unberücksichtigt, wie mittelbare Folgen, die sich aus den Projekten ergeben. Somit erklärt sich die Kritik vieler Wissenschaftler, Lomborgs Strategie sei kurzsichtig und trage nicht den komplexen Zusammenhängen Rechnung, mit denen sie sich befasst.

Ein letzter entscheidender Unterschied zwischen der Theorie von Ott und Döring und der Lomborgs liegt in der Frage nach der Rolle der Ökonomie selbst. Wie oben beschrieben, vertreten Ott und Döring die Ansicht, dass ein "unhintergehbarer Vorrang der Gerechtigkeit vor der Effizienz" (60) besteht und demnach die Ökonomie in Fragen der Gerechtigkeit hinter der Politik zurückzutreten hat. Lomborg hingegen betrachtet die Ökonomie eher als Übergeordnetes Steuerungselement. Mit der Aussage, keine Prioritäten zu setzen sei ungerecht, setzt er das ökonomische Handeln dem gerechten Handeln gleich.
Politische Entscheidungen gleichfalls rational und ökonomisch begründet sein, also nicht der Gesellschaft und deren Prinzipien überlassen. Die Rolle der Ökonomie beschränkt sich also nicht, wie bei Ott und Döring, auf die Maximierung der Allokation, sondern überträgt sich ebenfalls auf die Verteilung der Produkte (Vgl. 1.2 - Aufteilung der Verteilungsproblematik).
(57)
Lomborg, B. in: DIE ZEIT, 05.01.2006, Ulrich Schnabel, Die andere Katastrophe

(58)
Vgl. hierzu die Medienwirksamkeit des Tsunami 2004 und die entsprechende Hilfsbereitschaft

(59)
Sprich: investiere x Milliarden in Projekt a, so überleben x Millionen Menschen

(60)
Konrad Ott und Ralf Döring, Theorie und Praxis starker Nachhaltigkeit, Marburg 2004, S. 44


5. Schlussbetrachtung

Wir haben uns eingangs die Fragen gestellt, ob mit dem Begriff "Nachhaltigkeit" stets die gleichen Inhalte bezeichnet werden oder ob unter diesem Etikett ganz verschiedene Problematiken und Themen versammelt sind. Und ob diese Themen in eine hierarchische Ordnung gebracht werden können. Nach der Darstellung der gerechtigkeitstheoretischen Grundlagen, der Erläuterung verschiedener Argumentationsketten sowie eines Fallbeispieles dürfte klar sein, dass der Begriff "Nachhaltigkeit" hochkomplex ist und sich keine Unterscheidung in "richtige" und "falsche" Positionen treffen lässt.

Die Diskussion der Nachhaltigkeitsproblematik umfasst verschiedene Themenfelder, die jeweils unter ganz anderen Vorzeichen behandelt werden. Zwischen den unterschiedlichen Bereichen können Konflikte entstehen, und zwar sowohl aus inhaltlichen wie aus systematisch-methodischen Gründen. Das liegt daran, dass Nachhaltigkeitsstrategien immer zweckgerichtet sind. Was aber als lohnenswerter Zweck einer Nachhaltigkeitsstrategie betrachtet werden kann, ist nicht von vornherein so klar, wie es das Label der Nachhaltigkeit suggeriert.

Wenn also sowohl starke wie auch schwache Nachhaltigkeit sich das Ziel einer guten, lebenswerten Umwelt als Ziel setzen, aber zu Ergebnissen kommen, die sich gegenseitig ausschließen, so ist das kein Wunder. Schon die Prämissen der beiden Theorien sind inkommensurabel: die von der schwachen Nachhaltigkeit postulierte unbegrenzte Substitutionselastizität kann von der starken Nachhaltigkeit nicht akzeptiert werden, da letztere Position auf einem unhintergehbaren Eigenwertigkeit von Naturkapital rekurriert. Auch die Argumentationsweisen der Theorien sind unterschiedlich. Die eudaimonistische Komponente der Argumentationslinie von Vertretern starker Nachhaltigkeit, Ott und Döring eingeschlossen, kann in einer rein deontologischen Argumentation (schwache Nachhaltigkeitskonzeption) nicht reformuliert werden. Nichtsdestotrotz macht die Theorie von Ott und Döring beispielsweise Sinn, um zu praktischen Entscheidungen bei den gegenwärtig anstehenden Fragen zum Umgang mit Ressourcen zu kommen.


Der wichtige Punkt ist unserer Meinung nach die Zweckgebundenheit von Theorien nie aus den Augen zu verlieren. Jede Theorie bezieht sich auf einen speziellen Kontext und blendet damit notwendige andere Bereiche aus. Verschiedene Nachhaltigkeitstheorien können verschiedene Probleme unterschiedlich gut lösen, d.h. sie gehen von unterschiedlichen Voraussetzungen aus und sind deshalb nur bedingt miteinander vergleichbar. Das führt zur zweiten Frage, nämlich zur Frage nach der hierarchischen Ordenbarkeit der verschiedenen Nachhaltigkeitstheorien. Ein Vergleich zwischen starker und schwacher Nachhaltigkeit mit der Theorie Björn Lomborgs macht offensichtlich, daß eine Hierarchisierung eben nicht möglich ist. Die Theorien schlagen in ihrer Betrachtung und Wertung vollkommen unterschiedliche Richtungen ein und sind demnach nur innerhalb des eigenen Wirkungsbereiches bewertbar.

Schlussendlich bleibt festzustellen, dass keine der Theorien dem Anspruch an die ultimative, allumfassende Nachhaltigkeit bzw. an der Lösung aller Probleme der Menschheit gerecht werden kann.

Inhaltsverzeichnis

1.

Theoretische Grundlagen des Konzepts von Nachhaltigkeit
1.1  Einleitung
1.2   Was ist Gerechtigkeit?
1.3 

Gerechtigkeitstheoretische Grundlagen von Nachhaltigkeit
2.  Schwache und Starke Nachhaltigkeit
2.1   Einführung
2.2   Schwache Nachhaltigkeit
2.3   Starke Nachhaltigkeit
2.4 Vermittelnde Positionen
2.5 Position nach Ott und Döring
3. Die Insel Nauru
3.1 Geschichte
3.2

Aspekte der schwachen und der starken Nachhaltigkeit
4. Björn Lomborg & Kopenhagen Konsens
4.1 Hintergrund
4.2

Operationalisierung - Der Kopenhagen Konsens
4.3 Gerechtigkeit
5. Schlussbetrachtung
6. Quellen


6. Quellen

Konrad Ott und Ralf Döring, Theorie und Praxis starker Nachhaltigkeit, Marburg 2004

Döring, R. - Wie stark ist schwache, wie schwach starke Nachhaltigkeit?
Diskussionspapier 08/2004

Christiane Grefe, Wenn alles immer besser wird. In: DIE ZEIT, 01.08.2002

Scherhorn, G., 2004: Natur und Kapital: Über die Bedingungen nachhaltigen Wirtschaftens. In: Natur und Kultur, Jg. 5, S. 70

Ulrich Schnabel, Die andere Katastrophe. In: DIE ZEIT, 05.01.2006,

http://www.copenhagenconsensus.com, 28.02.2006

http://de.wikipedia.org/wiki/Nauru, 28.02.2006